der 1789 und 1790 in Frankreich weilte, ergaben sich im Gefolge zahlreicher persönlicher Begegnungen vielfaltige Möglichkeiten, Erlebnisse aus früherer Lektüre durch die unmittelbare Anschauung zu ergänzen. Sowohl bei seiner Reise durch die deutschen Lande als auch auf der gesamten weiteren Reiseroute nutzte er jede Gelegenheit, seine Vorstellungen von westeuropäischen Kulturen, vor allem der Philosophie und der Literaturen zu vertiefen. Die reichen Eindrücke, die der "russische Reisende" gesammelt hatte, finden sich wie Mosaiksteine zu einem eindrucksvollen Gemälde zusammengefügt in den Reisebriefen, die seit ihrem ersten Erscheinen eine nicht abreißende Rezeptionsgeschichte aufweisen. Der bei seinem Reiseantritt gerade 23jährige Karamzin hat sich bekanntlich nicht mit der Rolle eines passiven Beobachters zufriedengegeben. Er war als Literat bereits bekannt, denn seine Übersetzungen aus dem Schaffen Lessings und Shakespeares hatten im russischen Publikum einen lebhaften Widerhall gefunden. So bekundet er auf seiner Reise gezielt sein Interesse und erörtert auffallig sicher die Eindrücke, die er aus den Begegnungen mit Personen und Orten sammeln konnte. Die Bekanntschaft mit dem "Baron W.", dessen Identität als W. v. Wolzogen (1762 -1809) zweifelsfrei feststeht, sollte sich im Rahmen der Rußlandbeziehungen des klassischen Weimar als fruchtbar und folgenreich erweisen. Es entwickelte sich zudem eine Geistesfreundschaft der beiden Männer, die erst durch den frühen Tod Wolzogens ein jähes Ende fand. Wolzogen entstammte einer österreichischen Familie, deren Angehörige sich seit dem Dreißigjährigen Kriege zur Freien Reichsritterschaft zählen durften. Sein Bildungsweg ähnelt an markanten Punkten demjenigen Schillers und F. M. Klingers: Alle drei hatten in Stuttgart die später zur Militärakademie umgebildete militärische "Pflanzschule" besucht und deren Bedingungen als drückend empfunden. Wolzogen hatte gehofft, eine berufliche Laufbahn als Architekt einschlagen zu können. Schiller und Wolzogen heirateten die Schwestern von Lengefeld und wurden dadurch zu Schwägern 1 . Wolzogen erhielt, von Schiller nach Weimar vermittelt, Gelegenheit, wiederholt in diplomatischer Mission unterwegs zu sein. Er bekleidete zeitweise die Stelle eines Erziehers des Erbherzogs. In dieser Eigenschaft befand er sich 1790 in Paris, als er den dort weilenden Karamzin traf. Wie H.-B. Harder anmerkt, bildete die gemeinsame Lektüre der Werke Schillers, insbesondere der "Thalia", eine der tragenden Säulen, auf denen sich die freundschaftlichen Kontakte beider Männer entwickelten 2 . Karamzin bemerkt später in seinen Reisebriefen, daß dieser Kontakt zunächst drei Monate währte, da er sich zur Weiterreise entschlossen hatte. Vermutlich der zwischen diesem Erlebnis und der Niederschrift der Reisebriefe liegenden zeitlichen Distanz geschuldet, beschränken sich Karamzins Erwähnungen Wolzogens auf zwei Stellen. Die erste betrifft ein gemeinsames Erlebnis auf dem Pont neuf, wo beide Ausländer von zwei Blumenmädchen aufgefordert wurden, sie zu küssen 3 . Di...