Zusammenfassung
Bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten mit schwerer psychischer Störung besteht zwar häufig die Notwendigkeit einer raschen Diagnostik und Therapie, das Symptombild führt jedoch nicht selten zu einer Ablehnung solcher Maßnahmen. In der täglichen Praxis stellt sich dann die Frage, inwieweit der geäußerte Wille des Patienten die Behandlungsschritte vorgibt oder ob eine Entscheidung gegen den Willen des Patienten medizinisch sinnvoll, ethisch vertretbar oder sogar geboten und rechtlich zulässig ist. Autoimmune Enzephalitiden – wie die N‑Methyl-D-Aspartat-Rezeptor(NMDAR)-Enzephalitis – sind aufgrund ihrer relativen Häufigkeit, vielgestaltigen Symptomatik und guten Therapierbarkeit neuerdings wichtige Differenzialdiagnosen, da die zugrunde liegenden Autoantikörper besonders häufig zu organischen Psychosen führen. Am Beispiel eines komplexen Falles einer Patientin mit im Verlauf gesicherter NMDAR-Enzephalitis erläutern wir die praxisrelevanten ethisch-juristischen Abwägungen von der initialen invasiven Diagnostik bis zur Unterbringung und Zwangsbehandlung. Die Bewertung soll konkrete Hilfestellungen geben, die Autonomie des Patienten zu respektieren, potenzielle Widersprüche zwischen dem freien Willen und dem geäußerten Willen zu ermessen, individuelle ärztliche Überzeugungen (hinsichtlich Autonomiefähigkeit und Zwangsbehandlung) anhand der Rechtslage zu überprüfen, die Indikation für eine vorübergehende Behandlung gegen den natürlichen Willen zu stellen, Analogien zu anderen schweren Hirnerkrankungen herzustellen und erfolgreich gegenüber dem Betreuungsgericht zu argumentieren.