Zusammenfassung
Hintergrund
In Deutschland leben Schätzungen zufolge zwischen 337.000 und 650.000 wohnungslose Menschen in gesundheitlich zumeist prekärer Lage. Studien zu ihrer Gesundheit sind selten und methodisch heterogen. Bisherige Übersichtsarbeiten fokussierten auf psychische Erkrankungen.
Fragestellung
Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick über die aktuelle Forschung zu somatischen Erkrankungen von Wohnungslosen in Deutschland zu geben.
Methoden
Auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche für die Jahre 2009–2019 werden methodisches Vorgehen, Stichprobenzugang und Rekrutierung sowie die berichteten Gesundheitsaspekte betrachtet.
Ergebnisse
Es wurden 8 Journalbeiträge mit Peer-Review identifiziert. Häufig wurde der Begriff „Wohnungslosigkeit“ nicht operationalisiert. Im Durchschnitt waren die Wohnungslosen 40,9–67 Jahre alt, der Frauenanteil lag bei 0–35,3 %. Der Stichprobenzugang erfolgte in Unterkünften und im Rahmen medizinischer Angebote. Eine Rekrutierungsstrategie war ein modifiziertes Schneeballsystem („respondent driven sampling“) in Verbindung mit Anreizen (Incentives). Häufig wurden Herz-Kreislauf-Erkrankungen (17–37,2 %), Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (≥20 %) sowie der Atemwege (7–24 %) berichtet. Abhängig vom Ort der Rekrutierung traten vermehrt Infektionskrankheiten auf (Tuberkulose, Hepatitis B und C).
Diskussion
Studien zur somatischen Gesundheit Wohnungsloser sind häufig selektiv. Überrepräsentiert erscheinen Personen, die älter sind, unteren Bildungsgruppen angehören oder in deutschen Großstädten lebende Männer. Der Begriff „Wohnungslosigkeit“ wird nicht einheitlich verwendet. Im Vergleich mit repräsentativen Bevölkerungsdaten für Deutschland werden erhöhte Erkrankungsrisiken beobachtet. Kohortencharakteristika können diese nur bedingt erklären. Biografische und intersektionale Ansätze werden benötigt, um die multiplen und kumulativen Belastungslagen zu erfassen.