In den letzten Jahren sind mehrere neue Klassen von Organosiliciumverbindungen erschlossen worden, die Siliciumatome in niedrigen Oxydationsstufen enthalten. Dies gelang hauptsächlich, indem geschickt gewählte Substituenten für eine kinetische und thermodynamische Stabilisierung eingesetzt wurden [1,2] und eine äußerst wichtige, neuere Entdeckung genutzt wurde: die Stabilisierung von hoch reaktiven Spezies wie Si 2 , Si 2 Cl 2 , SiHal 2 und SiRHal (Hal = Halogenid) in Form ihrer Addukte mit N-heterocyclischen Carbenen (NHCs) vom Arduengo-Typ. [3] Vergleichbare Verbindungen des niedervalenten Siliciums und Kohlenstoffs unterscheiden sich oft durch ihre Strukturen und ihre Bindungsverhältnisse, bedingt durch die Tatsache, dass Silicium -im Unterschied zu Kohlenstoff -nur schwache p-Bindungen bildet und aus der Hybridisierung energetisch keinen grçßeren Nutzen zieht.[4] Deshalb ist die Entdeckung neuer Verbindungsklassen in der Organosiliciumchemie oft mit der Einführung neuer Bindungskonzepte verbunden.Die wichtige Frage, wie das Silicium mit dem Phänomen "Antiaromatizität in Vierring-Systemen" umgeht, ist experimentell erstmals in zwei kürzlich erschienenen Verçffentli-chungen behandelt worden: Die Gruppe um Tamao und Matsuo hat die Synthese eines Tetrasilacyclobutadiens mit einem planaren, rhombischem Molekülgerüst (A) vorgestellt und dabei einen neuen Aryl-Substituenten zur kinetischen Stabilisierung genutzt, [5] und die Gruppen um Roesky und Frenking haben die Herstellung eines planaren Dimers eines Silaisonitrils (B) beschrieben, das durch sehr sperrige ArylSubstituenten vom Power-Typ stabilisiert wird. [6] Die Reaktion des Aryl(tribrom)silans (EMind)SiBr 3 mit drei ¾quivalenten Lithiumnaphthalenid führte zum luft-und feuchtigkeitsempfindlichen, orangefarbenen Tetrasilacyclobutadien Si 4 Ar 4 (1; Schema 1). Dieses zersetzt sich bei Raumtemperatur langsam, in Lçsung und auch im festen Zustand, konnte aber trotzdem durch Rçntgenstrukturana-lyse sowie durch NMR-und UV/Vis-Spektroskopie charakterisiert werden. Die Molekülstruktur von 1 zeigt ein planares Si 4 -Ring-Gerüst mit nahezu identischen Si-Si-Abständen (ca. 2.28 ), die zwischen denen typischer Si-Si-Einfachbindungen (2.34 ) und -Doppelbindungen (2.14 ) einzuordnen sind -das heißt, es werden keine alternierenden Bindungslängen beobachtet. Bis zu diesem Punkt würde 1 die Kriterien für ein antiaromatisches System erfüllen (vier delokalisierte p-Elektronen in einer cyclischen und planaren Verbindung); die weiteren Beobachtungen sprechen allerdings gegen diese Klassifizierung: Die Siliciumatome haben zwei unterschiedliche Koordinationsgeometrien; ein Satz diagonaler Siliciumatome (Si1 und Si3) zeigt eine planare, der andere (Si2 und Si4) eine pyramidale Umgebung. Die ipso-Kohlenstoffatome Schema 1. Synthese und Struktur des Tetrasilacyclobutadiens 1.