ZusammenfassungIdentitätspolitik wird heute in der politischen Öffentlichkeit und der politischen Theorie auf ähnliche Weise kritisiert. Ein zentraler Topos dieser Kritik ist, dass Identitätspolitik essentialisierend sei: Sie schreibe Subjekte auf deren soziale Position fest und ergehe sich in einer Politik der Partikularität, die zu Spaltungen der nationalen Bürgerschaft und des demokratischen Diskurses (kommunitaristische und liberale Position) und zu Spaltungen innerhalb gesellschaftskritischer Bewegungen führe (kritische Position). Entgegen dieser einseitigen Kritik schlagen wir mit dem Konzept der „konstruktivistischen Identitätspolitik“ eine andere Deutung vor: Wir zeigen, dass politische Identitäten nicht essentialistisch gegeben sind, sondern aus sozialen und politischen Konstruktionsprozessen hervorgehen; dass sie aktiv durch politische (Sub-)Kulturen und Bewegungen hergestellt, erlernt und praktiziert werden. In diesen Konstruktionsprozessen wird politische Artikulations- und Handlungsfähigkeit hergestellt, die Subjekte befähigt, Herrschafts- und Diskriminierungsverhältnisse zu kritisieren. Im Anschluss an die radikale Demokratietheorie argumentieren wir, dass die so ermöglichten partikularen politischen Perspektiven der Identitätspolitik weder die Demokratie noch die Solidarität in gesellschaftskritischen Bewegungen gefährden, sondern zu deren weiterer Demokratisierung beitragen, indem sie die universell gedachten Prinzipien der Demokratie in partikularen Auseinandersetzungen aktualisieren. Während identitätspolitische Konstruktionsprozesse zwar immer wieder zu Essentialisierungen tendieren und Ausschlüsse produzieren, ist deren kritische Reflexion der Identitätspolitik inhärent. Dieses Verständnis ermöglicht auch eine Kritik solcher Identitätspolitiken, die sich nicht an den demokratischen Werten der Gleichheit und Freiheit orientieren und kritische Selbstreflexion blockieren. Nach einem Überblick der gegenwärtigen Identitätspolitik-Kritik erarbeiten wir dieses konstruktivistische Verständnis im Anschluss an die seit den 1980er Jahren geführten Debatten der feministischen und postkolonialen Theorie. Darauf aufbauend entwickeln wir den Begriff der konstruktivistischen Identitätspolitik systematisch, indem wir drei Aspekte differenzieren: Subjektivierung, Artikulation und Repräsentation. Wir beziehen uns hierzu auf Ansätze von Foucault, Rancière, Laclau/Mouffe und Hall und illustrieren die jeweiligen Aspekte anhand migrantischer Selbstorganisierungen sowie schwuler Kultur und queerer Kritik.