Zusammenfassung
Fragestellung: Vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Trauerbegleitungspraxis sechs jüdisch-deutscher Ärztinnen und Ärzte, ihren Perspektiven auf Verlust, Trauer und ärztliche Trauerbegleitung sowie der Frage, inwiefern ihre Biografie und ihre Religiosität/Spiritualität (R/S) diese formen.
Methode: Hierzu wurden semistrukturierte Interviews geführt und mittels einer adaptierten Version der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring ausgewertet.
Ergebnisse: Die Intensität und Komplexität des trauerbegleitenden Kontaktes hängt u. a. vom Belastungspotenzial des Verlusts, der persönlichen Identifikation mit den Betreuten sowie der gegenseitigen Sympathie ab.
Inhaltlich finden sich „klassisch ärztliche“ Verhaltensweisen (z. B. Medikation, Überweisung); die Respondenten beleuchten jedoch auch schulmedizinisch wenig beachtete interaktionelle Phänomene (z. B. „Mitgefühl“, „für jemanden da sein“) und erörtern u. a. den vieldeutigen Trauerbegriff sowie das Spannungsfeld zwischen Professionalität und emotionaler Intimität im Kontakt.
Als einflussnehmend auf ihre Trauerbegleitung beschreiben die Respondenten private und berufliche Trauererfahrungen, die Auseinandersetzung mit Religionsethik (z. B. in Bezug auf Ideen der Nächstenliebe und des Leids) sowie Auswirkungen der jüdischen Verfolgungsgeschichte auf ihre subjektive Lebenswelt. Über den Einfluss ihrer selbstbeurteilten R/S erlauben die Studienergebnisse keine verlässliche Aussage.
Diskussion: Vorliegende Untersuchung sensibilisiert für zwischenmenschliche Konflikte, Rollenbilder sowie Bedürfnisse innerhalb der Beziehung zwischen Ärzten und Trauernden und zeigt auf, wie der Zugang zur eigenen Trauerbegleitungspraxis geformt wird bzw. wie diese aussehen kann. Damit bietet sie einen Ansatz zur aktiven Definition und Entwicklung der eigenen ärztlich-trauerbegleitenden Funktion.