Professor Ehud Keinan zum 70. Geburtstag gewidmet Chemische Proteinsynthese ·Native chemische Ligation ·Proteinchemie ·Selenocystein ·Selenoproteine
EinführungObwohl sie ein scheinbar unbegrenztes Spektrum chemischer und biologischer Aufgaben zu erfüllen vermçgen, sind Proteine aus einer sehr begrenzten Zahl chemischer Elemente aufgebaut. In der Hauptsache aus Kohlenstoff, Wasserstoff,S tickstoff und Sauerstoff bestehend, hin und wieder ergänzt durch Schwefel, stützen sich die Proteine auf die Diversitätder Seitenketten ihrer Aminoacylbausteine,um eine unübersehbare Vielfalt an Strukturen und Funktionen hervorzubringen. Die Entdeckung,d ass Selen in Form der Aminosäure Selenocystein (Sec,U ) [2] ebenfalls in Proteinen vorkommt, [1] hat fürd as Studium natürlicher wie auch nichtnatürlicher Proteine zahlreiche Mçglichkeiten, aber auch Herausforderungen mit sich gebracht. Eine der vielleicht grçßte Herausforderungen ist das Mysterium, das die 25 bekannten Selenoproteine des Menschen umgibt, [3] von denen wenigstens die Hälfte bisher noch nicht vollständig charakterisiert wurden. [3] Als elektronischer "Vetter" des Cysteins (Cys,C )b ietet Sec aber auch ein unvergleichliches Werkzeug fürd ie Proteinmodifizierung. [4] Viele exzellente Übersichten zur Rolle von Selen und Sec in natürlichen Systemen sind verçffentlicht worden. [4][5][6][7] Im vorliegenden Kurzaufsatz wollen wir die Rolle von Selen jedoch aus einer chemischen Perspektive beleuchten:N un da wir wissen, dass es in natürlichen Proteinen vorkommt, wie kçnnen wir damit tüfteln?S ein Vorkommen in natürlichen Proteinen lässt vermuten, dass wir Selen artifiziell in Proteine einführen kçnnen und damit nur eine minimale Stçrung einhergeht. Seine relative Seltenheit macht es gleichzeitig attraktiv fürselektive Modifikationen. [8] Seit ihrer Entdeckung in Proteinen vor über vierzig Jahren sind Selen und Sec als Werkzeuge fürdie Untersuchung der Proteinfaltung,a ls Hilfsmittel fürn ukleophile Modifikationen, als Vorstufen fürd ie Einführung von Mimetika posttranslationaler Modifikationen, als Target für die Codon-Umwidmung, als Zugang zur Ligation ungeschützter Peptide mit unterschiedlichen Aminosäuren sowie als Systeme zum Verständnis der Funktionsweise von Enzymen herangezogen worden. Das Studium der Selenchemie in natürlichen und nichtnatürlichen Systemen erçffnet dem Chemiker auch weiterhin Wege zur Modifizierung und zum besseren Verständnis von Proteinen.
Selenocystein:Reaktivitätu nd SelektivitätEin Hauptgrund fürd ie Verwendung von Sec in der Proteinchemie ist sein relativ niedriger pK a -Wert von 5.2, [9] der bedingt, dass die meisten Seitenkettenselenole bei biologischen pH-Werten deprotoniert vorliegen. Außerdem ist sein Redoxpotential (E 0 = À388 mV), [10] wenn auch kontextabhängig, [11][12][13] deutlich niedriger als das des eng verwandten Cys (E 0 = À220 mV; [14] Abbildung 1). Als Folge davon wird Sec unter normalen Umgebungsbedingungen leicht zu dem Diseleniddimer Selenocystin oxidiert. Außerdem sind Selenatome aufgrund ihres grçßeren Atomradius stark p...