Während im Lockdown zu Beginn der Corona-Krise die Preise von Lebensmitteln stark anstiegen, fi elen die Preise von Gütern, die deutlich weniger konsumiert wurden, beispielsweise von Benzin. Die statistischen Behörden im Euroraum errechneten daraus sinkende Infl ationsraten, die als Begründung für äußerst umfangreiche Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) dienten. Der Name des 1.350 Mrd. Euro schweren "Pandemischen Notfallkaufprogramms" der EZB signalisiert hingegen, dass die EZB auf die Rettung von klammen Staaten und Unternehmen und nicht auf die Preisstabilität zielte. Ein weiterer Widerspruch hinsichtlich der europäischen Geldpolitik spiegelt sich in den Umfragen der Europäischen Kommission zur "gefühlten Infl ation" wider. Diese liegt seit Beginn der Erhebung ungefähr fünf Prozentpunkte höher als die offi ziell gemessene Infl ation. In der Corona-Krise hat sich diese Diskrepanz nochmals ver-stärkt. Während die gefühlte Infl ation im Eurogebiet im 2. Quartal steil auf 6,9 % nach oben ging, meldete Eurostat einen deutlichen Rückgang der Infl ation auf 0,2 %. Zuletzt lag die Veränderungsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) sogar bei-0,3 % (September 2020). Damit lebt eine Diskussion wieder auf, die bei der Euroeinführung mit dem sogenannten Teuro begonnen hat. Beruhen die hohen gefühlten Infl ationsraten darauf, dass Menschen Preiserhöhungen subjektiv stärker wahrnehmen als Preissenkungen? Oder erfasst die offi zielle Statistik den Kaufkraftverlust in der Europäischen Union nicht ausreichend? Ein Blick auf die Methodik der Infl ationssteuerung und Infl ationsmessung gibt wichtige Einblicke. Infl ationssteuerung von der Obergrenze zum symmetrischen Punktziel Das primäre Ziel der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist nach § 127 AEUV die Preisstabilität. Die Infl ationsmessung ist für dieses Ziel von besonderer Bedeutung, weil die EZB ihre geldpolitischen Entscheidungen auf die aus dem HVPI berechnete Infl ationsrate ausrichtet. Diese lag seit 1999 im jährlichen Durchschnitt in Deutschland bei 1,5 %, seit 2012 sogar nur bei 1,2 %. Zur Einführung des Euro hatte sich die EZB eine Infl ationsobergrenze von 2 %, kombiniert mit einem Referenzwert für das Geldmengenwachstum M3 (4,5 %), als geldpolitische Strategie (Zwei-Säulen-Strategie) vorgegeben. Im Jahr 2003 hat die EZB das mittelfristige Ziel auf nahe, aber unter 2 % eingeengt. Der Referenzwert für das Geldmengenwachstum wurde