Im vorliegenden Heft der Klinischen Monatsblätter für Augenheilkunde wird eine Studie von Schroth und Jaschinski [15] publiziert. Thema ist die "okuläre Prävalenz". Da es sich dabei um einen in der Sehforschung und der Ophthalmologie noch wenig bekannten Begriff handelt, erscheinen mir einige einleitende Worte angebracht. Außerdem möchte ich dazu Stellung nehmen, wie die Befunde von Schroth und Jaschinski in die Diskussion um die Prismenkorrektion der "Winkelfehlsichtigkeit" einzuordnen sind.Was ist "okuläre Prävalenz"?Das Wort Prävalenz leitet sich von dem lateinischen Wort praevalere = überwiegen ab. Unter "okulärer Prävalenz" versteht man seit Sachsenweger [14] das Übergewicht eines Auges bei einer ganz bestimmten Sehaufgabe, nämlich der Beurteilung, ob zwei tiefenversetzte Objekte in derselben Richtung oder seitlich versetzt erscheinen. Vor dieser Sehaufgabe steht man zum Beispiel, wenn man einen Schraubenzieher in die Nut einer Schraube einführen und nicht daneben landen will.Wie lässt sich feststellen, ob dazu beide Augen in gleichem Ausmaß herangezogen werden, oder ob eines der Augen stärker gewichtet wird als das andere? Das Prinzip der Prüfung kann man sich leicht vor Augen führen: Man halte eine Nadel, von unten kommend, senkrecht in etwa 40 cm Entfernung vor die Mitte der beiden Augen, und eine zweite Nadel, von oben kommend, in etwa 39 cm Entfernung, und zwar so, dass sich die Nadeln fast berühren würden, wenn sie nicht in der Tiefe versetzt wären. Wenn man nun das rechte Auge zukneift und nur das linke zum Sehen heranzieht, erscheint die vordere Nadel nach rechts versetzt; umgekehrt erscheint die vordere Nadel nach links versetzt, wenn man das linke Auge zukneift und nur das rechte zum Sehen heranzieht. Unter der Voraussetzung, dass die beiden Nadeln objektiv genau auf die Mitte zwischen den beiden Augen ausgerichtet sind, sollte die vordere Nadel bei binokularer Betrachtung auch subjektiv mittig erscheinen. Dies ist aber nur bei wenigen Personen der Fall: Die meisten Menschen gewichten bei dieser Sehaufgabe eines ihrer Augen stärker als das andere. Je nach dem Ausmaß ihrer okulären Prävalenz erscheint ihnen die vordere Nadel mehr oder weniger zur Seite des weniger gewichteten Auges versetzt.
Vorn-Hinten-Asymmetrie der Prävalenz eines AugesSchroth und Jaschinski [15] benutzten in ihrer Studie den von Hans-Joachim Haase angegebenen "Valenztest" [4], bei dem die Bilder für das rechte und linke Auge mithilfe von Polarisationsfiltern getrennt dargeboten werden. Wahlweise können Dreiecke so gezeigt werden, als lägen sie vor oder hinter einem stets in der Bildschirmebene stehenden Referenzobjekt. Schroth und Jaschinski fanden, dass die okuläre Prävalenz bei den beiden Wahlmöglichkeiten unterschiedlich ist, und zwar abhängig von der