In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer zunehmenden industriellen Entwicklung und Verwendung von Nano‐ und Mikropartikeln sowie faserförmigen Materialien, die insbesondere bei Inhalation zur Ausbildung besorgniserregender Lungenpathologien wie Inflammationen, Fibrosen und Lungenkrebs führen können. Dieses Risiko in Hinblick auf die Exposition von Arbeitskräften und Konsumenten erfordert eine umfassende Charakterisierung der Materialien in Hinblick auf deren Materialeigenschaften und Toxikologie. Im Rahmen der toxikologischen Untersuchungen wird angestrebt, die Verwendung von /n‐v/Vo‐Experimenten möglichst zu reduzieren und alternative Methoden im in‐vitro‐Bereich zu entwickeln, die eine möglichst realistische Nachstellung der physiologischen Antwort liefern. Aus diesem Grund kommen vermehrt Zellkulturmodelle an der Luft‐Flüssigkeitsgrenzschicht (engl. a/r‐l/qu/d interface: ALI) zum Einsatz, bei denen Lungenepithelzellen auf einer porösen Membran kultiviert werden, sodass sie apikal gegenüber der Umgebungsluft und Aerosolen ausgesetzt werden können. In einer Weiterentwicklung der ALI‐Modelle können unterschiedliche Zellarten der Lunge zur Nachstellung der Kommunikation zwischen Lungenzellen integriert werden.Im ersten Teil dieser Arbeit wurde ein Vergleich unterschiedlicher Zellkulturmodelle mithilfe des bereits detailliert erforschten Quarzes Min‐U‐Sil5 durchgeführt. Hierzu wurde die Alveolarepithelzelllinie A549 im Rahmen einer klassischen Kultivierung submers sowie an einem ALI in der Vitrocell® Cloud gegen über Quarzpartikeln exponiert. Zusätzlich wurden Cokulturen aus A549‐Zellen und Makrophagen‐ähnlichen dTHP‐1‐Zellen etabliert, die ebenfalls submers und am ALI mit Quarzpartikeln behandelt wurden. Für ein vertieftes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen wurde zusätzlich eine submerse dTHP‐1‐ Monokultur mitgeführt. Die fünf Modelle wurden hinsichtlich einer Zytotoxizität, Änderungen der Genexpression, Inflammation und Genotoxizität nach Quarzexposition untersucht. Es wurde festgestellt, dass die submersen Modelle empfindlicher gegenüber Quarzpartikeln reagierten als die ALI‐Modelle, sowohl im Falle der A549‐Mono‐ als auch im Falle der A549/dTHP‐1‐Cokultur. Dies wurde durch eine verstärkte Zytotoxizität und eine höhere Inflammationsantwort auf Ebene der Genexpression und Zytokinfreisetzung ersichtlich. Dieser Effekt konnte mutmaßlich auf Unterschiede in der Partikelvorbereitung sowie die Ausbildung von protektivem Surfactant durch A549‐Zellen zurückgeführt werden. Die Integration von dTHP‐1‐Zellen als Teil der Cokultur führte zu einer Verstärkung der inflammatorischen Antwort und zu einer Zytokinfreisetzung, die höher als die kombinierten Effekte der jeweiligen Monokulturen war. Dies spricht für eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Epithelzellen und Makrophagen. Als zugrunde liegende toxikologische Mechanismen wurden die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF‐kB und des NLRP3‐ Inflammasoms postuliert, welche für die umfassende inflammatorische Antwort zuständig sind und mutmaßlich durch Endozytose der Partikel und nachfolgende Bildung von ROS an der Partikeloberfläche induziert wurden. Eine zeitaufgelöste Betrachtung hob die Bedeutung hervor, eine Zeitabhängigkeit zellulärer Antworten zu berücksichtigen.Im zweiten Teil dieser Arbeit wurden Carbonfasern (CF) als innovatives und in der Industrie relevantes Material mithilfe von ALI‐Modellen unter Verwendung der gleichen toxikologischen Endpunkte untersucht. Hierbei wurden die CF nicht in ihrer nativen Form untersucht, sondern zuvor einer mechanischen Behandlung bzw. einer thermischmechanischen Behandlung unterzogen. Dies sollte mechanischen und thermischen Stress simulieren, dem CF im Laufe ihres Lebenszyklus ausgesetzt sind. Für die Experimente mit CF kamen Zellkulturmodelle auf Basis der Bronchialepithelzelllinie BEAS‐2B zum Einsatz: es wurden BEAS‐2B‐Monokulturen, BEAS‐2B/dTHP‐1‐Cokulturen und Triplekulturen durch Zusatz der Fibroblastenzelllinie CCD‐33Lu verwendet. Die Exposition fand in der Vitrocell® Automated Exposure Station statt. Der Fokus lag auf der zeitabhängigen Betrachtung der CF‐ Toxizität, sodass Expositionen lediglich mit einer Dosis durchgeführt, jedoch variierende Nachinkubationszeiträume von 0, 3 oder 23 h angeschlossen wurden. Während mechanisch behandelte CF keine Zytotoxizität auslösten, kam es bei Exposition gegenüber thermischmechanisch behandelten CF zu einer signifikanten Reduktion der Zellzahl bei gleich bleibender LDH‐Freisetzung. Da im Verlauf der Experimente eine starke Agglomeration der thermischmechanisch behandelten CF beobachtet worden war, wurde vermutet, dass ein Teil der Zellen durch Adhärenz an die CF‐Agglomerate verloren ging, ohne dass Membranschäden entstanden und eine LDH‐Freisetzung erfolge. Dieser Effekt hatte zusätzliche Auswirkungen auf andere Endpunkte. Beispielsweise kam es in der Cokultur zu einer Repression der für Makrophagen spezifischen Gene TNF‐A und CCL22, was für einen primären Verlust der dTHP‐ 1‐Zellen durch eine potenzielle Bindung dieser Zellen an Faseragglomerate spricht. Daneben wurden sowohl in der Mono‐ als auch in der Cokultur diverse Gene der Inflammation und Apoptose verstärkt exprimiert, während die Exposition gegenüber mechanisch behandelten CF nur zu Änderungen in einzelnen Genen dieser Cluster führte. In vergleichbarer Weise wurde für die thermisch‐mechanisch behandelten CF eine höhere Zytokinfreisetzung detektiert. Die beobachteten Effekte wiesen erneut auf die Bedeutung von NF‐kB und des Inflammasoms hin, sowie auf eine Beteiligung diverser Bestandteile der MAPK‐Signalkaskade, die für eine Regulation des Zellzyklus, der Apoptose und Proliferation der Zellen zuständig ist. Eine Genotoxizität konnte nicht eindeutig bestätigt werden, da nur eine schwache Induktion von DNA‐Strangbrüchen durch mechanisch behandelte CF ermittelt werden konnte und lediglich einzelne Gene des Clusters “DNA‐Schadensantwort” induziert wurden. Die Triplekultur erwies sich durch widersprüchliche Ergebnisse in den Genexpressionsanalysen und Schwierigkeiten bei der Anwendung als instabil, zeigte jedoch durch eine außergewöhnlich hohe Zytokinfreisetzung und die Induktion einer sekundären Genotoxizität Potential für eine zukünftige Anwendung.Es kann zusammengefasst werden, dass es sich bei ALI‐Zellkulturmodellen um ein nützliches Werkzeug für die Weiterentwicklung der Partikel‐ und Fasertoxikologie handelt. Es handelt sich bei dem ersten Teil der Arbeit um einen systematischen Vergleich verschiedener in‐vitro‐ Modelle in Hinblick auf Mechanismen der Quarztoxizität. Die Expositionen zeigten, dass toxikologische Effekte durch Verwendung submerser Kulturen potenziell überschätzt und durch die alleinige Verwendung von Monokulturen unterschätzt werden können. Die Verwendung von Cokulturen mit Makrophagen‐ ähnlichen Zellen erwies sich als besonders gut geeignet für eine Betrachtung inflammatorischer Prozesse. Der zweite Teil dieser Arbeit stellt die erste umfassende toxikologische Charakterisierung von CF in komplexeren in‐vitro‐ Systemen dar. Aus den Ergebnissen wird die toxikologische Relevanz von CF sowie die Abhängigkeit toxikologischer Antworten von der Behandlungsart und Beschaffenheit der resultierenden Strukturen deutlich.