Kartieren ist eine Methode, die seit einigen Jahren in europäischen Städten – insbesondere in vielen deutschen Städten – Konjunktur hat als Medium der öffentlichen Wahrnehmung kolonial geprägter Orte und trägt damit zu einer Diskursverschiebung postkolonialer Erinnerung bei. Die produzierten Karten machen auf die Vielfalt verdrängter oder vergessener Spuren des Kolonialismus im öffentlichen Raum aufmerksam. Sie machen außerdem Orte des Erinnerns an koloniale Gewaltverhältnisse, rassistische Ausbeutung und antikolonialen Widerstand sichtbar. Die Methode des Kartierens bezeichnen viele Autor*innen dieser Karten explizit als Praxis der Gegenerzählung zur eurozentrischen Kolonialgeschichte sowie als eine kollektive und partizipative Praxis herrschaftskritischer Wissensproduktion. Der Beitrag zeigt, in welcher Weise Kartierungsprojekte einerseits Argumente Kritischen Kartierens und andererseits Ansätze dekolonialer Erinnerungspolitik berücksichtigen. Dafür haben wir alle auffindbaren analogen und digitalen postkolonialen Karten deutscher Städte sowie zehn Karten weiterer europäischer Städte vergleichend analysiert und nach der jeweils angewandten Kartierungspraxis typisiert. Für drei identifizierte Kartentypen – Karten mit punktuellen Informationen, Karten mit Informationen zu räumlichen Verflechtungen und Karten mit Visualisierungen multiperspektivischer Erfahrungen – stellen wir jeweils Beispielkarten vor. Wir untersuchen die Umsetzung von Perspektiven kritischer Kartographie sowie postkolonialer Geographie und diskutieren die dekolonialen Potenziale des Kartierens.