Zusammenfassung Die Frage, wie mit Regelverletzungen und wie mit den einzelnen oder Gruppentätern, die Regeln verletzen, umzugehen sei, reicht bis in die Anfänge der Bildung sozialer Gruppen zurück. Im Laufe der raschen evolutionären Entwicklung sozialer Fähigkeiten der Spezies Homo sapiens in den letzten 20.000 bis 30.000 Jahren wurden die geltenden inner-und außergemeinschaftlichen Regeln immer differenzierter. Im vorliegenden Beitrag werden am Beispiel des Phänomens der Schuld die Verflechtung vielfältiger Faktoren und ihre Wechselwirkungen aufgezeigt, die die Interaktion zwischen psychischen Stö-rungen und Verletzung von -im weiteren Sinne -Normen und -im engeren Sinne -Gesetz bestimmen. Dabei zeigt die historische Darstellung, welche intensive Rolle juristische Konstrukte -wie beispielsweise verschiedene Schuldbegriffskonzepte -, theologische Vorstellungen und Vorsätze -betreffend z. B. das Verhältnis zwischen Menschlichem und Göttlichem -sowie philosophische Grundauffassungen -z. B. im Rahmen der Philosophie des Geistes -spielen. Zu verschiedenen Zeiten waren die Antworten auf die Fragen nach Haftung, Verantwortung, Schuld oder Strafe immer entscheidend durch das jeweilige Grundverständnis der Weltordnung und des Menschenbilds charakterisiert; gegenwärtig ist es auch nicht anders. Die aktuellen Auffassungen sind der Endpunkt einer Entwicklung, wie anhand einer selektiven Darstellung mancher Aspekte der Geschichte forensisch-psychiatrisches Denkens darzustellen beabsichtigt ist. Die Zusammenhänge dieser Themen zu den Kernbereichen des forensisch-psychiatrischen Denkens und Handelns wie der Schuldfrage werden näher erörtert, um zur Reflexion der gegenwärtigen Positionen anzuregen.
Schlüsselwörter Forensische Psychiatrie · Wille · Schuldfähigkeit · Moralphilosophie · Vernunft
Guilt in forensic psychiatry
Historical review and current conceptAbstract The question of how to deal with norm and rule violations in general, as well as in individual and groups of offenders, reaches back to the beginning of the first social communities. The rules regulating interactions within and between collectives became more differentiated in the last 20,000-30,000 years during the rapid evolutionary de-70 1 3 N. Vasic et al.velopment of the social capabilities of the species Homo sapiens. Using the example of guilt this paper intends to demonstrate the narrow interdependence of various factors which determine the interaction between mental disorders and violation of both norms (generally) and laws (specifically). When discussing this topic various judicial constructs, such as criminal guilt concepts, theological ideas (regarding the relationship between human and divine) and conceptions within the philosophy of mind are of specific interest. Throughout different time periods answers regarding questions of accountability, responsibility, guilt or punishment were characterized by the particular basic understanding of the world order and idea of man; currently it is no different. Within this context, current perceptions represent an...