Die theologischen Transformationen, die der neuzeitliche Protestantismus in Deutschland durchlaufen hat, werden auf wenigen Gebieten so deutlich wie im Bereich der politischen Ethik. In diesem Bereich werden die Grundeinsichten der Reformation geradezu vom Kopf auf die Füße gestellt. Dies geschieht im 20. Jahrhundert, vornehmlich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Vier externe Faktoren waren dabei wirksam: Zunächst ist es die Erfolgsgeschichte des Bonner Grundgesetzes, das ein rechtsethisches Resü-mee aus den Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit gezogen und eine Art zivilreligiösen Konsens gestiftet hat, 1 der sich auf Dauer als umfassender erwies als die von den Kirchen vermeinten "Grundwerte". Sodann hat der ideologische, politische und ökonomische Gegensatz zwischen dem sog. Ostblock und den demokratischen Staaten des Westens der evangelischen Theologie und den evangelischen Kirchen den Weg in Richtung Demokratie gewiesen. Dem entspricht drittens, dass sich die römisch-katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil von ihren theokratischen Phantasien verabschiedete, Menschenwürde und -rechte aus ihrem Naturrecht ableitete und sich zum demokratischen Rechtsstaat bekannte. Schließlich wurde unter dem Eindruck der theologisch-politischen Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) der nationalstaatliche Horizont der Politischen Ethik überschritten und die globale Perspektive rückte in den Fokus.Insgesamt könnte der Kontrast zwischen "Vorher" und "Nachher" kaum größer sein: Aus der fürstlichen Obrigkeit wird der demokratische MehrEbenen-Staat. Aus dem Untertanen wird der Wahlbürger. Die Drei-Stände-Ordnung wird durch die egalitäre Zivilgesellschaft abgelöst. Nicht mehr der "Gehorsam", sondern die "Verantwortung" gilt als die vorrangige politische Pflicht des Christenmenschen. Die Kirche wird aus der staatlichen Bürokratie herausgelöst und verselbstständigt sich. Das daraus entwickelte * Diesem Beitrag liegt ein Vortrag zu Grunde, der am 28. Januar 2014 bei der DFGForschergruppe "Der Protestantismus in den ethischen Debatten Nachkriegsdeutschlands 1949Nachkriegsdeutschlands -1989" in Weilheim gehalten wurde. 1 Dieser Konsens wird im Begriff "Verfassungspatriotismus" gebündelt, vgl. Dolf Sternberger, Verfassungspatriotismus, Hannover 1982 und Jan-Werner Müller, Verfassungspatriotismus, Berlin 2010.politische Rolle der Kirche bestand darin, an der Erhaltung und Festigung der sittlichen Substanz des Staates mitzuwirken.Dazu wird der Berufsgedanke in einer doppelten Weise fruchtbar gemacht. Nach Harleß lebt der Christ in zwei Grundverhältnissen, denen er verpflichtet ist. Da ist zum einen die Schöpfungsordnung, für die vor allem Ehe, Familie und Staat stehen. Da ist zum anderen das Heilsgeschehen, dessen Wirksamkeit durch die Kirche und die von ihr verwalteten Heilsmittel verkörpert wird. Beide Grundverhältnisse stehen in einer gewissen Parallelität zueinander. Der Christ ist nun zur Gestaltung beider Grundverhältnisse aufgerufen, darin besteht sein Beruf. Dieser Begriff ist im Sinne von "göt...