ZUSAMMENFASSUNG
Gegenstand und Ziel Mithilfe von 2 exemplarischen Biografien sollen die berufliche Laufbahn und Lebensumstände von Nervenärztinnen zwischen 1900 und 1950 beleuchtet werden. Dabei stehen Hochschulzugang, Medizinstudium, Forschung sowie Tätigkeit in Klinik und Praxis vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik im Mittelpunkt.
Material und Methoden Schlüssige Kriterien führten zu einer klaren Definition des Begriffs „Pionierin“. Die Rekonstruktion der Lebensläufe gelang durch die Analyse von umfangreichem Archivmaterial und Originalpublikationen. Mittels Auswertung relevanter Sekundärliteratur konnten die bioergografischen Vignetten in den Kontext der Zeit eingeordnet werden.
Ergebnisse Beide Nervenärztinnen begannen ihr Studium in den 1900er-Jahren, traten zur Weiterbildung in Universitäts- kliniken ein und waren viele Jahre als „Specialisten“ bzw.niedergelassene Fachärztinnen gemäß der Bremer Richtlinie von 1924 tätig. Beide publizierten wissenschaftliche Arbeiten, ohne aufgrund zeitgenössischer Hürden die Chance einer akademischen Karriere zu haben. Während Ulrich unverheiratet und kinderlos blieb, lebte Schmidt-Kraepelin die gesellschaftlich neue Doppelrolle von Hausfrau/Mutter und berufstätiger Medizinerin. Letztere war zudem als Assistenzärztin einer „Sammelanstalt“ in die NS-„Euthanasie“ involviert und wurde nach 1945 mit Vorwürfen konfrontiert.
Schlussfolgerungen Anschaulich dargestellte Lebensgeschichten bilden einen hervorragenden Zugang, um historische Sachverhalte wie Anfänge des Frauenstudiums, berufliche (Nicht-)Optionen von Nervenärztinnen und deren moralische Herausforderungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachvollziehbar zu machen. Weitere Fallstudien sind wünschenswert, um aktuelle Kontroversen in den Fächern Neurologie/Psychiatrie um eine historische Tiefendimension zu erweitern.