Die Verantwortung des Anästhesisten in der präope-rativen Risikoabklärung
Bemerkungen zu der rechtlichen Bedeutung von medizinischen Publikationen zu diesem ThemaEine der gegenwärtig meist diskutierten klinischen Aufgaben des Faches Anästhe-siologie ist die Bemühung perioperative Komplikationen zu vermeiden oder deren Häufigkeit auf eine möglichst geringe Anzahl zu reduzieren. Sie ergibt sich aus der aktuellen Gesamtsituation im Gesundheitswesen, in der immer mehr polymorbide und im fortgeschrittenen Alter befindliche Patienten mit einem mög-lichst geringen finanziellen Aufwand und möglichst kurzem Krankenhausaufenthalt erfolgreich operiert werden sollen. Folgerichtig werden diesem Thema sowohl in der operativen als auch anäs-thesiologischen Literatur viele Publikationen gewidmet, deren Inhalte immer wieder den Eindruck vermitteln lassen, als ob darin enthaltene Vorschläge und Ratschläge zur "Minimierung" von perioperativen Komplikationen als geltende Standards verstanden werden könnten [12,13,14]. Folgerichtig werden sie von der Rechtsprechung im guten Glauben und in der Regel mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen als gültiges Wissen übernommen.Indes führt eine kritische und unter Berücksichtigung der Realitäten erfolgte Lektüre dieser Publikationen in der Regel zu dem Ergebnis, dass die Erwartungen und Forderungen einiger Autoren, die man in den Texten findet, sich weder mit den reellen Gegebenheiten "vor Ort" noch mit den Leitlinien unserer Fachgesellschaft in Einklang bringen lassen. Hinzu kommt, dass die häufig zu findende geradezu euphorische Stimmung, im Bezug auf Chancen auf diesem medizinischen Feld durch bestimmte Voruntersuchungen erfolgreicher als je zuvor werden zu können, sich nicht nur bei einer genauen Durchsicht der einschlägigen Literatur sondern auch in der klinischen Praxis als trügerisch erweisen. Kritische Gedanken zu solchen Publikationen sind bisher sehr selten, vielleicht deshalb, weil man bekanntlich mit Erfolgsmeldungen, seien sie auch nicht sofort nachprüfbar, zumindest vorübergehend mehr Aufmerksamkeit gewinnen kann als mit Kommentaren, die mit weniger optimistischen Schlussfolgerungen besetzt sind.Eine Kritik des weit verbreiteten Optimismus ist jedoch wichtig, weil sie auf die Verhältnisse, wie sie wirklich sind und nicht wie man sie sich wünschen sollte, hinweist. Es geht schließlich um Realitäten, unter denen wir tätig sind, und nicht um häufig kaum oder nichtrealisierbare Vorstellungen, deren Unterlassung sehr schnell den falschen Eindruck eines begangenen ärztlichen Behandlungsfehlers entstehen lassen könnte. Es ist die Abwägung des Verhältnisses zwischen der Vorstellung einer idealen Konstellation, wie sie häufig veröffentlicht wird, und dem Auftreten eines möglichen Misserfolges bei deren Nichtbeachtung, die zu einer Quelle für die Meinungsbildung der meisten Sachverständigen und dadurch zu der häufigsten Grundlage einer Urteilsbildung wird.Wollte man alle Komplikationen, die in der perioperativen Phase auftreten können, auf das Minimum reduzieren, so wären hierfür zwei...