ZusammenfassungIn Literatur und Forschung mangelt es an Vergleichsstudien zu offenen und
geschlossenen Therapiegruppen. Differenzielle, bislang theoretisch und praktisch
fundierte Charakteristika beider Formate sind vermutlich für unterschiedliche
therapeutisch relevante Effekte verantwortlich. Ziel der vorliegenden Analyse
ist es, den bisherigen Forschungsstand durch eine Bestandsaufnahme von
Expertenerfahrungen eines Therapeutenteams mit beiden Gruppenformaten zu
ergänzen und Hinweise für die Auswahl eines geeigneten Gruppenformates
bereitzustellen. Dazu wurden die Psychologen und Sporttherapeuten einer
Abteilung für verhaltensmedizinisch orientierte orthopädische Rehabilitation
(VOR) während einer Umstellung von geschlossenen auf offene Gruppen in offenen
leitfadengestützten Gesprächen zu ihren Erfahrungen befragt. Ihre Antworten
wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. In der Literatur
benannte Charakteristika offener und geschlossener Gruppen bestätigen sich
überwiegend. Sie werden mit in der Literatur noch nicht identifizierten
Aspekten, die den Therapiealltag und die Therapeutenmotivation betreffen,
ergänzt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sport- und Psychotherapie
werden herausgestellt. Geschlossene Gruppen sind von einem Zusammenwachsen und
tiefergehenden Beziehungen im Therapieverlauf geprägt. Sitzungen geschlossener
Gruppen können aufeinander aufbauen und laufen strukturiert ab. Offene Gruppen
weisen einen über die Zeit gleichbleibenden Energielevel und stärkere Dynamik
auf und bieten breite Kontaktmöglichkeiten. Verschiedene Patientenrollen in
Therapiegruppen müssen in beiden Formaten im Blick behalten werden. Beide
Gruppenformen verfügen über Charakteristika, die für verschiedene Therapieziele
und Indikationen differenziert genutzt werden können, und haben somit ihre
Berechtigung im therapeutischen Kontext. Diese empirischen Befunde legen nahe,
dass Therapeuten eine spezifische Gruppenform gezielt auswählen können, um
spezifische Patiententypen besser zu unterstützen oder spezifische Therapieziele
zu realisieren.