ZusammenfassungDie Unterschiede und Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland wurden nach der Deutschen Einheit als Übergangsstadium verstanden; insbesondere Mentalitätsunterschiede sollten sich im Laufe der Jahre angleichen. Der Beitrag analysiert, wie Ost- und Westdeutsche das Verhältnis zueinander wahrnehmen und inwiefern sich hier Kohortenunterschiede zeigen. Konzeptionell unterscheiden wir drei zentrale Hypothesen, die jeweils eigene empirische Muster nahelegen. Die Sozialisationshypothese geht davon aus, dass es durch die deutsche Teilung einerseits, aber auch durch das Aufwachsen im Staatssozialismus und die Transformationserfahrungen in Ostdeutschland andererseits wahrnehmungsprägende Erfahrungen gibt, die allerdings für nachfolgende Kohorten an Relevanz verlieren. Die Othering-Hypothese besagt, dass sich Ost-West-Differenzen durch Reaktanz auf die (auch diskursive) Dominanz der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft immer wieder erneuern und somit für alle Altersgruppen in Ost und West salient bleiben. Die These ostdeutscher Persistenz und Verhärtung schließlich vermutet, dass es nicht zwingend darauf ankommt, selbst in der DDR gelebt zu haben, sondern dass ein ostdeutsches Narrativ in Familien und sozialen Netzwerken weitergegeben wird. Die Salienz des Themas sollte demnach vor allem im Osten nach wie vor hoch sein. Mit neuen Daten aus dem Jahr 2022 können wir zeigen, dass die deutsch-deutschen Trennlinien in der Kohortenfolge unter jungen Westdeutschen verblassen, bei den jungen Ostdeutschen dagegen ein Fortwirken von Unterschieds- und Konfliktwahrnehmungen erkennbar ist. Die Ergebnisse deuten auf die These der ostdeutschen Persistenz und Verhärtung hin, wohingegen für die Westdeutschen die Sozialisationshypothese plausibel erscheint.