Bei der Analyse von Daten der Lehrabschlussprüfungen aus dem Jahr 2008 bemerkte ich, dass sich die Erfolgsquoten der frauen-von denjenigen der männertypischen Berufslehren unterschieden. In weiteren Berechnungen zeigte sich ein Muster: Lernende in geschlechtsuntypischen Berufslehren fielen öfter durch die Lehrabschlussprüfung als Lernende in geschlechtstypischen bzw.-gemischten Berufslehren. Dieser Befund ist der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Sie stellt das Modell der geschlechtsuntypischen Berufssozialisation in den Rahmen der Berufsbildung und belegt seine Aussagen mittels quantitativen und qualitativen Methoden. Sie wurde an der Universität Basel als Dissertation angenommen. Während der statistischen Auswertungen blieben mir zwei Presseartikel besonders in Erinnerung. Sie heben als augenfällige Überspitzung hervor, wie komplex und doppelbödig die Auseinandersetzung mit der Beziehung von Beruf und Geschlecht abläuft. So berichtet der "Tages-Anzeiger" vom 13.10.2011 in seiner Analyse "Die schönste Frau ist ein Mann" über den damals zwanzigjährigen Andrej Pejic, der für Jean-Paul Gaultier Frauenkleider vorführte. Darin offenbart sich mir die Widersprüchlichkeit. Einerseits lässt sich daraus eine Erweiterung der Geschlechterrolle ablesen: Männer können in Frauenberufen bestehen. Man könnte dies als Errungenschaft betrachten, die Vorbildcharakter für eine neue, aufgeklärte Generation von Männern mit weniger Hemmungen und Berührungsängsten in femininen Domänen hat und sich selbstverständlich darin bewegt. Andererseits kristallisiert sich an diesem Beispiel das Phänomen des postmodernes Patriarchats: Mann entwirft, produziert und verkauft nicht nur, was Frau tragen sollen, sondern demonstriert mittels eines jungen Männerkörpers, wie Frau darin auszusehen hat. Was bedeutet es, wenn ein Mann den Schönheitsidealen der zeitgenössischen Damenmode perfekt entspricht, ohne jegliche weibliche Rundungen, quasi als perfektionierte Reinkarnation der 80er-Jahre-Androgynität? Oder ist es harmloses Marketing, das mit dem Irritationsmoment spielt? Ein zweites Beispiel verdeutlicht, dass der Fokus, der auf Frauen in Männerberufen liegt, oft wenig mit der Tätigkeit, sondern mehr mit Äußerlichkeiten zu tun hat. "Hillary Clintons hundert Frisuren" titelt die "NZZ am Sonntag" vom 11.12.2011. Die Auftritte der damaligen US-Außenministerin werden zwar mit dem Prädikat "mächtigste Frau der Welt" geadelt, jedoch ebenso schnell wieder reduziert auf die Banalität der Form ihres Haarschnitts. Eine Darstellung, die sich der Berichterstattung über institutionelle Monarchien annähert. Die Frage bleibt, was Medienschaffende bezwecken, wenn sie über einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen bildhaft festgehaltenen Momentaufnahmen von Haartrachten und den hineininterpretieren emo-tionalen Befindlichkeiten einer (weiblichen) Politikerin schreiben, die seit Jahrzehnten das einflussreichste Land der Welt mitgestaltet? An diesen beiden Beispielen verdeutlicht sich pointiert der Vergeschlechtlichungsprozess der Arbeitswelt. Lernende haben jewei...