Über mediale Identifizierung"Wenn ich sehe und gesehen werde, so bin ich." D.W. Winnicott (1971, S. 131) Eine der zentralen Fragen für das Verständ-nis des Identitätswandels in unserer Zeit ist die nach der Wechselwirkung zwischen sozialen Prozessen und seelischer Entwicklung. Seit dem symbolischen Interaktionismus geht man davon aus, dass sich die Heranwachsenden im Laufe ihrer Entwicklung mit den Entwürfen und Konstruktionen identifizieren, die ihre Umgebung für sie bereithält, und daraus eine Orientierungshilfe in der Beziehung zu anderen und zur sozialen Umwelt gewinnen.Auf diese Weise entsteht Identität als ein Modus der Selbstregulation, der von Vorstellungen über sich selbst in einer bestimmten sozialen Umwelt geleitet wird und ein überdauerndes Selbstgefühl und die Abgrenzung gegenüber dem anderen ermöglicht. Das bedeutet, dass Identität im Wesentlichen das Ergebnis der Identifizierung mit den Vorstellungen anderer über einen selbst ist, nämlich die von zentralen Personen der Prägungsjahre, mit ihren Werten, ihren eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen und ihrem sozialen Kontext. Sie ist danach ein mehr oder weniger chiffriertes Abbild sozialer Entwicklungsbedingungen. Aus dieser Sicht spiegelt ein Wandel des Identitätserlebens einen Wandel der sozialen Rahmenbedingungen für die Entwicklung wider, wie auch umgekehrt ein verändertes Identitätsgefühl den Nachkommenden veränderte Identifizierungsangebote bereitstellt.In dieser Arbeit soll die Frage untersucht werden, welchen Einfluss die zunehmende Medialisierung unseres Alltags und die Verbreitung virtueller Erfahrungen auf die Entwicklung der Identität ausübt. Dabei wird es weniger um die Inhalte der Identifizierungsprozesse gehen als vielmehr darum, wie es sich auf die psychische Entwicklung auswirkt, wenn Identifizierungen immer stärker durch mediale Vorgaben und nicht mehr vorrangig in den bedeutsamen Beziehungen stattfinden. Die zentrale Annahme ist, dass die Identifizierung mit dem medialen Modus der Kommunikation eine nichtkontingente Beziehungserfahrung widerspiegelt, die ein bedeutsames psychisches Organisationsprinzip schafft. Dieses nenne ich mediale Identität.