Wenn sich der Winter in die Hochlagen und den hohen Norden zuriickgezogen hat, stellt manch einer seine Zimrnerpflanzen ins Freie, urn sie in den Genufl warmer Mairegen und des nun endlich eingetretenen ,Wachswetters" zu bringen. N u r zu oft bewirkt diese gut gemeinte Behandlung aber den gegenteiligen Effekt. Die Blatter bekommen helle Flecken, vergilben, werden schliefllich abgeworfen, und man darf froh sein, wenn die Pflanze noch Kraft genug hat, ein neues Blattkleid nachzutreiben. Was ist passiert? Unsere Zimmerpflanzen passen ihren Photosyntheseapparat dem im Zimmer herrschenden Schwachlichtklima an. Bei einem plotzlichen Ubergang vom Zimmer-in das Starklichtklima des Freilands absorbieren sie zu groi3e Lichtmengen und bekommen einen Sonnenbrand. Gonnt man den Pflanzen aber an einem schattigen Freilandplatz einige Tage zum Umgewohnen, halt sich der Sonnenbrand in Grenzen oder bleibt ganz aus. Eine plotzliche, drastische Veranderung der Lichtintensitat bringt also die Pflanze unter ,,LichtstreB": Wirkt dieser nur kurzfristig oder wird die dauerhafte hohe Lichtintensitat la Streg bei Pflanzen durch Schatten gemildert, ist die Schadenssetzung gering; die Pflanze erholt sich im Verlauf einiger Tage oder hartet sich sogar ab. Wurde jedoch die Schadigungs-oder Toleranzschwelle uberschritten, kann das betroffene Organ den Schaden nicht mehr auffangen und geht zugrunde. Auch Freilandpflanzen sind beim Austreiben zunachst empfindlich gegen Starklicht und mussen eine ,,Lichthartungsphase" durchlaufen. Sie schutzen sich wahrend dieser Phase durch Selbstbeschattung, indem sie rote oder violette ,Jugendanthocyane" in der Epidermis deponieren. Deren Bildung ist bei Keimlingen, besonders aber bei der Laubschuttung tropischer Baume (Abbildung 1) eindrucksvoll zu sehen. Abstrahiert man die beschriebenen Vorgange von dem speziell behandelten StreBfaktor Licht, entsteht eine Theorie, die sich in den Grundziigen auf alle abiotischen und biotischen Stressoren anwenden 1aBt: das biologische StreBkonzept. Es macht Aussagen iiber das Reaktionsgeschehen, das einsetzt, wenn sich ein Organismus so weit von seinen optimalen Lebensbedingungen entfernt, daB sich sein physiologischer Zustand nicht nur quan-Biologie in unserer Zeit / 20. Jabrg. 1990 / Nr. 5 0 VCH Verlagsgesellscbafl mbH, 0-6940 Weinbeim, 1990 0045-205X/90/0J1 0-0237 $ 3.50 f .25/0 titativ, sondern auch qualitativ verandert. Im Hinblick auf den Menschen wurde das StreQkonzept erstmals von dem Mediziner H. Selye als ,,allgemeines StreQsyndrom" formuliert [l]. Der Pflanzenphysiologe J. Levitt [2] und der Okophysiologe W. Larcher [3] haben seine grundsatzliche Giiltigkeit auch fur Pflanzen nachgewiesen.