ZUSAMMENFASSUNG
Ziele Die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung wurde kaum durch repräsentative Studien untersucht. Ziel dieser Studie war es daher, die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Routineversorgung anhand einer repräsentativen Stichprobe unter Beteiligung aller 3 Parteien (Patienten, Psychiater und Angehörige) zu untersuchen. Mit Hilfe von persönlich durchgeführten Interviews, bestehend aus geschlossenen und offenen Fragen, wollten wir ein tieferes Verständnis dafür gewinnen, wann Angehörige in die Behandlung einbezogen werden und welche Themen hauptsächlich zur Sprache kommen.
Methoden In diese Querschnittsstudie wurden Patienten von 55 akut-psychiatrischen Stationen aus 10 psychiatrischen Kliniken, die behandelnden Psychiater und, wenn möglich, die zugehörigen Angehörigen einbezogen. Jeder Psychiater nannte zunächst 2–3 Patienten, die kurz vor der Entlassung standen, diese Patienten wurden um Studienteilnahme gebeten. Nachdem ein Patient in die Studienteilnahme eingewilligt hatte, wurde ein persönliches Interview durch einen Forscher durchgeführt. Zusätzlich wurde der behandelnde Psychiater und, wenn möglich, ein vom Patienten benannter Angehöriger befragt. Insgesamt konnten 247 Patienten und 247 Psychiater sowie 94 Angehörige in unsere Studie eingeschlossen werden.
Ergebnisse Laut Patienten und Psychiater fand ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern nur in einem Drittel der Fälle statt. Prädiktoren für den Arzt-Angehörigen-Kontakt waren die Diagnose des Patienten, die Anzahl der vorherigen stationär-psychiatrischen Aufenthalte und das behandelnde Krankenhaus. Nach Angaben der Psychiater wurden mit den Angehörigen am häufigsten therapeutische Fragestellungen besprochen sowie organisatorische und sozialpsychiatrische Themen geklärt. Patienten und Angehörige gaben dagegen an, dass die psychiatrische Behandlung und die diagnostische Einordnung der psychischen Erkrankung die häufigsten Gesprächsthemen waren. Die subjektive Wahrnehmung, dass die Einbeziehung eines Angehörigen in die Behandlung nicht notwendig ist, war der in allen Gruppen am häufigsten genannte Grund für eine ausbleibende Einbeziehung.
Schlussfolgerung Ob ein Kontakt zwischen Angehörigen und Psychiatern stattfindet hängt stark vom zuständigen Krankenhaus ab. Daher könnte die Einbeziehung von Angehörigen in die stationär-psychiatrische Behandlung dadurch verbessert werden, dass bestehende Strukturen und Abläufe im Krankenhaus verändert werden. Auch ob Angehörige während eines stationären Aufenthaltes kontaktiert und einbezogen wurden, hing stark von der jeweiligen Klinik ab. Alle Parteien (Patienten, Angehörige und Psychiater) gaben zudem am häufigsten an, dass Angehörige nicht in die Behandlung einbezogen wurden, da dies unnötig sei. Dies steht im klaren Gegensatz zur existierenden Evidenz, welche zeigt, dass eine Angehörigeneinbeziehung einen positiven Einfluss auf den Behandlungsverlauf und das Wohlbefinden der Angehörigen selbst hat. Es ist daher notwendig, Wissen über die positiven Effekte der Angehörigeneinbeziehung zu vermitteln.