Hintergrund Im Zuge einer wachsenden Evidenz für achtsamkeitsbasierte Verfahren im medizinischen Kontext wird immer häufiger für deren Integration in die Physio- und Ergotherapie argumentiert. Damit eine solche Integration gelingen und sich das tieferliegende Potenzial des Konzeptes „Achtsamkeit“ entfalten kann, ist eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis der Therapeut*innen selbst essenziell. Obwohl die Anwendung standardisierter Achtsamkeitsprogramme wie beispielsweise der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) in verschiedenen medizinischen Kontexten gut beschrieben ist, ist wenig darüber bekannt, wie entsprechend trainierte Physio- und Ergotherapeut*innen Achtsamkeitsaspekte außerhalb dieser standardisierten Anwendungsformen in den physio- und ergotherapeutischen Prozess integrieren.
Ziel Untersuchung zu den Fragen, wie Physio- und Ergotherapeut*innen mit einer entsprechenden Expertise im Feld Achtsamkeit diese in den therapeutischen Prozess integrieren, wie sie deren Auswirkungen auf den therapeutischen Prozess wahrnehmen und welche Möglichkeiten und Grenzen sie dabei erfahren.
Methodik Es wurden halbstrukturierte Leitfadeninterviews mit Physio- und Ergotherapeut*innen geführt, die zusätzlich eine Ausbildung zur MBSR-Lehrkraft absolviert haben. Die Rekrutierung potenzieller Partizipant*innen erfolgte über die deutschsprachigen MBSR-Verbände sowie über eine Internetrecherche. Die Auswertung der Interviews orientierte sich an der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015), wobei die Kategorienbildung durch theoretische Vorannahmen unterstützt wurde.
Ergebnisse Insgesamt wurden 5 Physio- und Ergotherapeut*innen interviewt. Als primäre Art der Integration von Achtsamkeit wurde eine eigene „Art zu Sein“ beschrieben, die sich durch Qualitäten wie Präsenz, Freundlichkeit, offenes Interesse, Authentizität und Akzeptanz auszeichnet. Die Interviewten nahmen dadurch sowohl eine Beeinflussung der Beziehung zwischen Patient*innen und Therapeut*innen und dem eigenen Wohlbefinden wahr, als auch eine Stimulation ähnlicher Qualitäten bei Patient*innen. Infolgedessen wurde die Therapie u. a. als konstruktiver und konzentrierter wahrgenommen. Wesentliche Hindernisse für eine Integration von Achtsamkeit stellen vor allem formale Rahmenbedingungen dar, z. B. enge Zeittaktungen oder patientenspezifische Merkmale wie passive Erwartungshaltungen.
Schlussfolgerung Aus Sicht der interviewten Therapeut*innen beeinflusst eine Achtsamkeitsschulung verschiedene Ebenen der Therapie, die in Wechselwirkung zueinander stehen können. Die Integration von Achtsamkeit wurde als förderlich für eine konstruktive Beziehung zwischen Patient*innen und Therapeut*innen wahrgenommen und als unterstützend für die Therapie interpretiert. Unklar bleibt, wie tiefgehend die eigene Achtsamkeitspraxis der Therapeut*innen sein muss, um Achtsamkeit erfolgreich in den therapeutischen Kontext einzubringen.