Robert SchnepfTranszendentale Argumente und die Probleme der kantischen Urteilstafel "Man muß in der Beurtheilung der Schriften anderer die methode der theilnehmung an der allgemeinen Sache der menschlichen Vernunft wählen." (Kant, Reflexionen zur Metaphysik, Refl. 4992, AA XVIII, S. 53) Ziel dieses Aufsatzes ist ein besseres Verständnis der "Urteilstafel" in Kants Kritik der reinen Vernunft bzw. der dieser Tafel zugrunde liegenden Urteilsdefinition. Das ist natürlich kein völlig unbekanntes und unerforschtes Thema mehr, insbeson dere nach den Monografien von Klaus Reich, Reinhard Brand, Michael Wolff und Béatrice Longuenesse (um nur sie zu nennen). Doch sind die Urteilstafel und die ihr zugrunde liegende Urteilsdefinition für das Unternehmen Kants zentral und sogar von solchem Interesse, dass die erneute Beschäftigung mit ihnen wesent liche Streitpunkte auch der gegenwärtigen Philosophie betrifft. Denn aus ihnen sollen durch einen eigenen Argumentationsgang, die metaphysische Deduktion nämlich, notwendige und allgemeingültige, mithin invariante Kategorien gewon nen werden. Entsprechend interessieren mich der Urteilsbegriff und die Urteilsta fel im Folgenden unter einer ganz bestimmten Fragestellung: Nimmt man einmal an, dass es sich bei den Argumenten für die Urteilsdefinition und die Urteilstafel um von der transzendentalen Deduktion und den mit ihr verbundenen Beweis zielen und Ansprüchen relativ unabhängige Argumentationen handelt (da sie im Text vor der transzendentalen Deduktion platziert sind),1 und klammert man die Frage zunächst ein, ob und in welchem Sinn in ihnen von den Resultaten der transzendentalen Ästhetik Gebrauch gemacht wird,2 und nimmt man weiterhin an, dass die Urteilstafel in irgendeinem Sinn grundlegend für die metaphysische Deduktion ist, mit der die Fragen beantwortet werden sollen, welche kategorialen Begriffe es gibt und wie ihre Kernbedeutung zu explizieren ist, dann wird man 1 Dieses Argument ist nicht zwingend, man kann beispielsweise zwischen Darstellungszusam menhang und Begründungszusammenhang unterscheiden und dann eine sehr stark sub jektivitätstheoretische Rekonstruktion entwickeln -so z. B. Rosales (1999). Ich hoffe, es wird später deutlicher, warum ich eine relative Selbstständigkeit der Urteilsdefinition, der Urteilstafel und auch der metaphysischen Deduktion annehme.