Zusammenfassung
Ziel Viele Gesundheitssysteme zeichnen sich durch hohe Komplexität
und Unübersichtlichkeit aus. Sich in ihnen zu orientieren und an die
richtige Stelle zu gelangen, erfordert hohe Navigationale Gesundheitskompetenz
(NGK). Darunter wird die Fähigkeit verstanden, sich durch das
Gesundheitssystem manövrieren und mit dazu erforderlichen Informationen
umgehen zu können. Bislang fehlt es an Daten zur NGK der
Bevölkerung. Ziel des Artikels ist es deshalb, empirisch zu analysieren,
wie sich die NGK in Deutschland darstellt und mit welchen soziodemografischen
und -ökonomischen Faktoren sie assoziiert ist.
Methode Die NGK wurde mit einem neuen, international entwickelten
Instrument (HLS19-NAV) erhoben, das die selbsteingeschätzten
Schwierigkeiten bei 12 navigationsbezogenen Informationsaufgaben misst. Es wurde
bereits in 8 Ländern eingesetzt, darunter auch Deutschland. Hier wurden
in einer repräsentativen Querschnittsstudie Daten von 2.151 Personen der
erwachsenen Wohnbevölkerung zur NGK erhoben. Der Zusammenhang zwischen
soziodemografischen und -ökonomischen Faktoren und der NGK wurde mittels
Varianz- sowie multivariater linearer Regressionsanalyse geprüft.
Ergebnisse Rund 80% der Befragten verfügen über
eine geringe NGK; im Mittel liegt der NGK-Score bei 41,5 von 100
möglichen Punkten. Menschen mit geringen sozioökonomischen
Ressourcen, im hohen Lebensalter, Menschen, die selbst nach Deutschland migriert
oder durch gesundheitliche Probleme eingeschränkt sind, weisen eine
besonders geringe NGK auf. Doch auch Personen mit guter Ressourcenausstattung
haben eine relativ geringe NGK. Bei Gesundheitsfachpersonen fällt die
NGK deutlich höher aus.
Schlussfolgerung Zwar wurden in den letzten Jahren etliche
Bemühungen unternommen, um bestehende Navigationsschwierigkeiten zu
mildern und Patient:innen besser durch das deutsche Gesundheitssystem zu leiten.
Den Studienergebnissen zufolge besteht im Bereich der NGK jedoch weiterhin hoher
Handlungsbedarf. Erforderlich sind vor allem Strukturmaßnahmen: Dazu
gehört die Schaffung ausreichender verlässlicher Informationen
über das Gesundheitssystem und seine Organisationen, ebenso die
Etablierung von Navigationshilfen und Versorgungspfaden und die Realisierung
eines gesundheitskompetenten Gesundheitssystems mit Organisationen und
Gesundheitsprofessionen, die zur Verbesserung der NGK beitragen.