Die kolloidale Stabilität von Bier ist ein entscheidender Qualitätsparameter hinsichtlich der Mindesthaltbarkeit und der sensorischen Akzeptanz der Konsumenten. Trübungsverursachende Interaktionen auf molekularer Ebene konnten bislang allerdings noch nicht vollständig aufgeklärt werden. Das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit war daher die Identifizierung, Charakterisierung und Quantifizierung trübungsaktiver Verbindungen in Bier und Biertrübungspartikeln und damit die Analyse der zur Trübungsbildung führenden Mechanismen auf molekularer Ebene.Zunächst wurden die Trübungseigenschaften einer Auswahl an kommerziellen Bierproben untersucht. Nach Entwicklung eines Vorgehens zur forcierten Bieralterung und Methoden zur Trübungsisolierung und ‐extraktion wurden durch den Vergleich von frischen mit den korrespondierenden gealterten und geklärten Bieren und anhand der daraus isolierten Trübungspartikel die Majorkomponenten der Trübungen identifiziert und quantifiziert. Hierdurch konnten zwischen 50 Gew.‐% und 90 Gew.‐% der Trübungsinhaltsstoffe charakterisiert werden.Es wurde gezeigt, dass sich die Proteinfraktion im Verlauf der Alterung im Bier deutlich abreichert, was auf die Präzipitation als Trübungsbestandteile zurückzuführen war. Den mengenmäßig dominierenden Anteil der Biertrübung stellten proteinische Komponenten mit Anteilen zwischen 30 % und 60 % dar, wobei sich Serpin Z4 als abundantestes Trübungsprotein zeigte. Die Daten der holistischen Proteomanalysen von Bier und Biertrübung zeigten anhand von absoluten iBAQ‐Werten erstmals, dass Proteine vorrangig entsprechend ihrer Abundanzen im Bier präzipitierten und sich in ebendieser Rangordnung auch in der korrespondierenden Trübung wiederfanden. Darauf basierend konnte eine fundierte Annahme darüber getroffen werden, dass Proteine im Verlauf der Trübungsbildung eher infolge unspezifischer Wechselwirkungen präzipitieren, was durch Daten der Metabolomanalysen und Modellstudien untermauert werden konnte. Den zweiten Hauptbestandteil der untersuchten Trübungspartikel stellten Kohlenhydrate mit Mengenanteilen von rund 20 % dar.Auf niedermolekularer Ebene konnten erstmals sekundäre Hopfeninhaltsstoffe in Biertrübung absolut quantifiziert und deren spezifische Anreicherung bei der Trübungsbildung entsprechend ihrer Hydrophobizität gezeigt werden. Insbesondere unpolare Hopfenphenole, wie Xanthohumol und Lupulone, wiesen sehr starke Anreicherungseffekte in der Biertrübung im Vergleich zum nativen Bier auf. Neben der spezifischen Anreicherung hydrophober Hopfenphenole wurden auch ausgeprägte Konzentrationseffekte für Calcium, Kupfer, Eisen, Nickel und Zink in der Biertrübung beobachtet.Auf Basis der Erkenntnisse über die chemische Trübungszusammensetzung wurde ein Lagerbier mittels Ultrafiltration in seine hoch‐ und niedermolekularen Bierbestandteile fraktioniert. Durch Forcierungsexperimente mit den beiden Fraktionen konnte erstmalig gezeigt werden, dass die niedermolekulare Fraktion (LMW) ausschlaggebend für die Trübungsstabilität eines Bieres ist, wohingegen die hochmolekulare Fraktion (HMW) isoliert vollkommen trübungsstabil vorlag und erst durch Zugabe von LMW‐Komponenten präzipitierte. Hieraus konnte mit der HMW zudem eine Matrix abgeleitet werden, die sich für bierähnliche Modellsysteme eignete, auf Basis derer sich die Trübungsaktivität einzelner Komponenten gezielt testen ließ.Die Übergangsmetalle Eisen und Kupfer konnten als besonders trübungsaktiv identifiziert werden, wobei Eisen bereits in geringsten Konzentrationen als trübungsfördernd einzustufen war. Auf Basis der erarbeiteten Ergebnisse ist davon auszugehen, dass Eisen(NI) gegenüber Eisen(N) die trübungsaktive Ionenspezies darstellt und in Bier unter anderem komplexiert als Oxalatoferrat vorliegt. Oxalsäure konnte diesbezüglich als trübungsstabilisierender Komplexbildner charakterisiert werden, welcher im Zuge einer enzymatischen Umsetzung von Oxalatoxidase abgebaut wird. Hierdurch werden zum einen trübungsaktive Eisenionen freigesetzt und zum anderen oxidativ schädigendes und daher trübungsförderndes Wasserstoffperoxid gebildet. Der negative Einfluss von Wasserstoffperoxid auf die Trübungsstabilität konnte durch den Einsatz von Katalase belegt werden.In einem biernahen Modellsystem, bestehend aus der Bier‐HMW, Eisen(N) bzw. Eisen(MI), Oxalsäure und Oxalatoxidase konnte im Zuge von Forcierungsexperimenten die Interaktion dieser Parameter und deren Beitrag zur kolloidalen Stabilisierung bzw. Destabilisierung bestätigt werden. Aus diesen Daten ließ sich eine Kaskade trübungsrelevanter Parameter ableiten, welche den möglichen Einfluss von Pflanzenstress auf die kolloidale Stabilität von Bier beschreibt. Die trianguläre Beziehung zwischen Oxalsäure, Eisenionen und der Oxalatoxidase‐Aktivität in Bezug auf die Trübungsstabilität wurden ebenso wie die Rolle der Oxalatoxidase für die Trübungsbildung im Speziellen im Rahmen dieser Arbeit erstmalig beschrieben. Zudem wurde mit der Oxalatoxidase eine neue, Luftsauerstoff‐unabhängige Quelle für Peroxide im fertigen Bier aufgezeigt.Mittels multivariater Datenanalyse und Korrelation der erarbeiteten Parameter mit der Trübungsneigung von 24 kommerziellen Bieren konnte außerdem an Realproben gezeigt werden, dass die Parameter isoliert betrachtet nicht in linearem Zusammenhang mit der Trübungsstabilität der Biere standen. Erst durch eine Kombination konnte ein Korrelationsmodell abgeleitet werden, dessen Varianz anhand dieser drei Parameter erklärt werden konnte. Dies ließ die Annahme zu, dass im Rahmen der durchgeführten Arbeit die maßgeblichen trübungsauslösenden Bierinhaltsstoffe identifiziert werden konnten.Die erarbeiteten molekularen Einblicke in das komplexe, multifaktorielle Zusammenspiel, das zur Biertrübungsbildung führt, ließen die Hypothese zu, dass Pflanzenstress ein entscheidender Faktor für die Trübungsstabilität sein könnte. Abwehrreaktionen auf biotische und abiotische Stressoren könnten im Hinblick auf Enzymaktivitäten, den Oxalsäuregehalt der Rohstoffe und damit auch die im Produkt resultierenden Metallgehalte maßgeblich für die kolloidale Stabilität von Bier sein. Dahingehend können auf Basis der durchgeführten Experimente weiterführende Studien geplant werden, die sich gezielt mit der Auswirkung unterschiedlicher Stressfaktoren auf die hier erarbeiteten, trübungsrelevanten Parameter befassen und außerdem das Verhalten trübungsverursachender Substanzen über den Brauprozess hinweg untersuchen.