Das Konzept harter und weicher Säuren und Basen (HSAB) erwies sich als nützlich, um die Stabilitätskonstanten von Metallkomplexen zu erklären. Seine Anwendung auf organische Reaktionen, insbesondere zur Deutung ambidenter Reaktivität, hat jedoch exotische Blüten hervorgebracht. Beim Versuch, alle beobachteten Regioselektivitäten durch günstige Weich‐weich‐ und Hart‐hart‐Wechselwirkungen sowie durch ungünstige Hart‐weich‐Wechselwirkungen zu erklären, wurden frühere Deutungen ambidenter Reaktivität ersetzt, die korrekt zwischen thermodynamischer und kinetischer Kontrolle sowie zwischen unterschiedlichen Koordinationsweisen ionischer Substrate unterschieden haben. Durch Nichtbeachtung widersprechender experimenteller Befunde und sogar Bezug auf nicht auffindbare experimentelle Daten erhielt die HSAB‐Behandlung ambidenter Reaktivität unverdiente Popularität. In diesem Aufsatz zeigen wir, dass das HSAB‐Konzept, wie auch das damit verwandte Klopman‐Salem‐Modell, nicht einmal das Verhalten der Prototypen ambidenter Nucleophile richtig beschreibt, sodass es eher irreführend denn ein nützlicher Wegweiser ist. Eine alternative Behandlung ambidenter Reaktivität auf der Basis der Marcus‐Theorie wird vorgestellt.