ZusammenfassungAufgrund der Vagheit und Mehrdeutigkeit von Sprache lassen sich Bedeutungsbildungsprozesse nur schwer formalisieren: Die Zuschreibung von Bedeutung vollzieht sich nicht nur unter Berücksichtigung der Textoberfläche, sondern auch unter der Heranziehung von unterschiedlichsten Ko- und Kontexten, die in ihrer Vielfalt schwer vorhersagbar und zu systematisieren sind. Quantitative Methoden zur Textanalyse eignen sich daher eher zur Exploration als zur Validierung und müssen in den meisten Fällen durch qualitative und interpretative Methoden ergänzt werden. Dennoch bleiben sie nicht bloßes Hilfsmittel, sondern können entscheidend zum hermeneutischen Prozess beitragen und diesen prägen. Anhand eines Beispiels aus der mittelalterlichen deutschen Literatur, der lyrischen Untergattung des Tagelieds, soll gezeigt werden, wie Verfahren der Wahrscheinlichkeitsberechnung und der diagrammatischen Visualisierung, die etwa beim Topic Modelling zum Einsatz gebracht werden können, überraschend gut geeignet sind, beispielsweise Mehrdeutigkeiten in der Gattungszuweisung von Texten sichtbar zu machen und typologische Zugänge zu Gattungsfragen abzubilden. Gerade die explorative Methode liefert damit einen Beitrag zur hermeneutischen Gegenstandskonstitution.