Die erstaunlich hohe katalytische Aktivität und Selektivität von Enzymen manifestiert sich einerseits in einer Beschleunigung der Zielreaktion und andererseits in der Unterdrückung alternativer Reaktionswege, die ohne das betreffende Enzym kinetisch kompetitiv oder sogar dominant wären. Histidin‐ und Phenylalanin‐Ammoniak‐Lyasen (HALs und PALs) z. B. bewirken eine Abspaltung des nicht‐aciden β‐Protons dieser Aminosäuren, ohne das weitaus acidere Ammonium‐Proton anzutasten. Beide Ammoniak‐Lyasen enthalten eine katalytisch wichtige elektrophile Gruppe, die während dreißig Jahren für Dehydroalanin gehalten wurde. Die Röntgenkristallstruktur von HAL ließ jedoch eine andere elektrophile Gruppe erkennen, nämlich 5‐Methylen‐3,5‐dihydroimidazol‐4‐on (MIO), die UV‐spektroskopisch auch in PAL nachgewiesen wurde. Kürzlich ermittelte Röntgenkristallstrukturen von PAL aus Rhodosporidium toruloides und Petrosilenum crispum bestätigten das Vorliegen der MIO‐Gruppe. Experimente legen nahe, dass die Reaktion durch einen elektrophilen Angriff von MIO auf den aromatischen Ring des Substrates gestartet wird. Diese Friedel‐Crafts‐ähnliche Reaktion aktiviert das β‐Proton und führt zu seiner stereospezifischen Abspaltung mit nachfolgender Eliminierung von Ammoniak und Regenerierung der MIO‐Gruppe. Die Plausibilität eines solchen Mechanismus wird durch ein synthetisches Modell gestützt. Diskutiert wird außerdem die Anwendung der PAL‐Reaktion in der biokatalytischen Synthese von enantiomerenreinen α‐Amino‐β‐arylpropionaten aus Arylacrylaten.