Zusammenfassung Wie reagieren internationale Organisationen (IOs) auf Schuldzuweisungen ihrer Mitgliedstaaten? Oftmals werden in der Forschung IOs im Falle von gescheiterten Politiken als gute Sündenböcke für die Schuldzuweisungen ihrer Mitgliedstaaten gesehen, weil sie sich kaum zu Wehr setzen müssen, können oder wollen. Demgegenüber argumentieren wir, dass IO-RepräsentantInnen versuchen, IOs in der Öffentlichkeit nicht als Schuldige für gescheiterte Politiken dastehen zu lassen. IOs sind deshalb keine passiven "blame taker", sondern aktive "blame avoider". In manchen Fällen sind sie zwar bereit, die Schuldzuweisungen ihrer Mitgliedstaaten zu ignorieren, doch in anderen Fällen versuchen sie ihre Verantwortung zu verschleiern oder sogar die Mitgliedstaaten zu attackieren. Um dies zu erklären, entwickeln wir eine Theorie der Schuldvermeidung von IOs, gemäß derer die Autorität einer IO bestimmt, welche Schuldvermeidungsstrategie ihre RepräsentantInnen einschlagen. Je nachdem, ob eine IO im betreffenden Politikfeld Autorität intergouvernemental, supranational oder hybrid ausübt, wird sie auf Schuldzuweisungen ihrer Mitgliedstaaten durch Strategien des Ignorierens, Verschleierns oder Attackierens reagieren. Wir demonstrieren die Plausibilität unserer Theorie mithilfe einer Medieninhaltsanalyse der Verantwortungsattributionen der Europäischen Kommission für drei umstrittene EU-Migrationspolitiken. Wir tragen damit zum besseren Verständnis der öffentlichen Schuldvermeidungsstrategien von IOs bei.