Neo-Salafiyya – Charakteristik und Attraktivität einer neuen fundamentalistischen Bewegung in Deutschland

Abstract

Seit dem 11. September 2001 hat das religiöse Spektrum in Deutschland im Kontext der fundamentalistischen Bewegungen durch den Neo-Salafismus eine neue Dimension erhalten. Es handelt sich hierbei um eine junge Bewegung, die zum einen ein theologisch-politisches Konzept verfolgt und die zum anderen Elemente einer Jugendpop-Kultur aufweist. Diese Kombination hat-im Zusammenspiel mit spezifisch individual-biografischen und sozialen Faktoren-die Attraktivität dieser Gruppierung in den letzten Jahren für junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren mit und ohne Migrationshintergrund steigen lassen. 1 Es handelt sich derzeit um die dynamischste Bewegung, obwohl sie rein quantitativ gesehen-im Vergleich zu den etablierten und traditionellen 2.600 Moscheegemeinden in Deutschland-immer noch eine Randgruppe darstellt. Doch allein einige Tausend Anhänger haben es geschafft, sich mit überwiegend symbolischen Aktionen erfolgreich in den deutschen Islamdiskurs einzubringen, und haben in rasantem Tempo ständig neue Anhänger und Sympathisanten gewonnen. 2 Insgesamt ist zu konstatieren, dass diese fundamentalistische Gruppierung das Bild des Islam in der Mehrheitsgesellschaft negativ zu prägen begonnen hat. Sie strebt geradezu an, besonders den propagierten Stereotypen über den Islam seitens anti-muslimischer Gruppen durch ihre radikale und sehr vereinfachte Ideologie zu entsprechen. In den wenigen vorliegenden Analysen 3 dieser Gruppierung wird primär auf theologische und religionspädagogische Erklärungen zurückgegriffen, die jedoch der 1. 1 So verweist Michael Kiefer darauf, dass ein erheblicher Teil dieser jungen Menschen aus Konvertiten besteht. Ebenso sei auffällig, dass sie aus eher wenig religiösen Familien stammen und häufig eine kriminelle Vergangenheit aufweisen (vgl. Kiefer 2015, S. 16). 2 Im Bundesverfassungsschutzbericht wird diese Dynamik eines enormen Zuwachses in den letzten Jahren belegt: »Auch im Jahr 2014 bleibt der Salafismus mit 7.000 Anhängern (gegenüber 5.500 im Jahr zuvor) die dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland. Die Szene stellt ein wesentliches Rekrutierungsfeld für den Jihad dar« (Bundesamt für Verfassungsschutz 2015, S. 90). 3 In vielen Ländern mit etablierten neo-salafistischen Strukturen wie in Deutschland oder in Frankreich sind eher Diskussionsbeiträge beziehungsweise wenige theoretische Auseinandersetzungen zu verzeichnen. Empirische Untersuchungen sind dagegen gar nicht vorhanden. Insgesamt ist trotz der Relevanz der Thematik die Anzahl der Publikationen gering. Federführend in Europa ist das International Center for the Study of Radicalisation (ICSR) am King's College London. Allerdings ist insgesamt zu monieren, dass der Fokus eher auf die globale Entwicklung des Neo-Salafismus sowie auf das Problem der ausreisenden IS-Kämpfer gerichtet ist, das heißt also eher auf die dschihadistische Strömung. Obwohl die

Islamismus in der Jugendphase

“…u. a. Ceylan 2016, Schneiders 2014Seidensticker 2014;Said/Fouad 2014). Dementsprechend hat sich die sozialwissenschaftliche Forschung mit dem Phänomen bereits in den späten 1990er-Jahren unter dem Begriff "islamischer Fundamentalismus" beschäftigt (bspw.…”

“…Schließlich haben die Konflikte in Afghanistan, Tschet-schenien und Bosnien-Herzegowina in den 1980er und 90er-Jahren zur Bildung weiterer Gruppen geführt (vgl. Ceylan 2016). Ausgehend vom Wahhabismus in Saudi-Arabien in den 1980er-Jahren gibt es salafistische Bewegungen seit den 1990er-Jahren in Europa und seit der Jahrtausendwende in Deutschland (vgl.…”

“…6 Islamistische und salafistische Bewegungen sind zum anderen eingebettet in die typische Struktur des Islams als einer Religion ohne Einheitskirche, wie etwa die katholische Kirche. Rauf Ceylan (2016) weist darauf hin, dass die Struktur der islamischen Glaubensgemeinschaft auch in Deutschland von einer Vielzahl lokaler Gemeinden geprägt ist, die um Gläubige konkurrieren. An diesem Wettbewerb nähmen auch die salafistischen Akteure teil.…”

“…Rauf Ceylan (2016) sieht zudem eine weitere Gemeinsamkeit in der ambivalenten Haltung, einerseits die westliche Welt abzulehnen und andererseits westliche politische Ideen zu übernehmen. Die Akteure, so Ceylan, definierten koranische Terminologien mithilfe neuer profaner, eventuell der westlichen Ideenwelt entlehnten Begriffe um, um politische Konzepte aus dem heiligen Text herauslesen zu können.…”

“…Salafisten rufen zwar kaum direkt zur Gewalt auf, dennoch werden militante dschihadistische Aufrufe nicht explizit abgelehnt und Gewalt als Gewalt gegen Feinde wird als legitimes Mittel akzeptiert (vgl. Ceylan 2016).…”