Neuere Publikationen zu einer offenen Frage
Marcus PopplowUrsachen des Europäischen Sonderwegs in die Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts werden in den letzten beiden Jahrzehnten aus immer neuen methodischen Perspektiven insbesondere in der englischsprachigen Forschung diskutiert. Dabei stellt diese Frage eine Seitenlinie der weiterhin unabgeschlossenen, ebenfalls primär in der Wirtschafts-und Sozialgeschichte geführten Debatte um die Ursachen der Industrialisierung dar. In beiden Zusammenhängen gelten technische Innovationen zwar nur als einer von vielen Faktoren des Industrialisierungsprozesses, jedoch als einer von essenzieller Bedeutung: Die kostengünstige Massenproduktion von Gütern durch umfassende Mechanisierung, neue Transporttechnologien und -infrastrukturen als Katalysatoren des Industrialisierungsprozesses und nicht zuletzt die Produktion neuer Waffentypen als Stimulus auf der Nachfrageseite beruhten unmittelbar auf technischen Innovationen. Im Umfeld der Sonderweg-Debatte werden technische Innovationen in dieser Tradition entsprechend häufig als besonders aussagefähige Messlatte für die Leistungsfähigkeit einzelner Ö konomien herangezogen (Landes 1999: 61-77, McClellan/Dorn 2006.In Diskussionsbeiträgen zum Europäischen Sonderweg wird allerdings hinsichtlich des Faktors Technik oft auf einen inzwischen veralteten Forschungsstand zurückgegriffen. In einer genuin interdisziplinären und globalen Debatte, die immer wieder neue Forschungsergebnisse und methodische Entwicklungen berücksichtigen muss, lassen sich solche Diskontinuitäten kaum vermeiden. Dennoch wäre es zweifellos wünschenswert, wenn die Technikgeschichte ihre Forschungsergebnisse zukünftig stärker in Synthesen zum Europäischen Sonderweg einbringen könnte, da diese in anderen Bereichen der Geschichtswissenschaft wie auch in der interessierten Ö ffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit finden.