Welche Rolle spielen Emotionen in der Ethnografie? Zwei Texte von Bronisław Malinowski (1884–1942) werden einer kontrastiven Analyse unterzogen: sein postum herausgegebenes Tagebuch, A Diary in the Strict Sense of the Term (1967), und seine wissenschaftliche Monografie, Argonauts of the Western Pacific (1922). Mit der teilnehmenden Beobachtung begründete Malinowski einen Forschungsstil, der die Forschenden in die Lebenswelt der Beforschten auch emotional involvierte. Die Publikation seines Tagebuches löste jedoch einen Skandal aus, weil seine Einträge dem Ideal des empathischen Beobachters zu widersprechen schienen. Da beide Texte auf der gleichen Periode der Feldforschung auf den Trobriand-Inseln in Papua-Neuguinea (1914–1918) beruhen, ermöglichen sie eine vergleichende Versuchsanordnung: Wie unterscheiden sich die Darstellungen der Emotionen des Forschers? Werden im Tagebuch Emotionen verhandelt, die aus der Monografie ,verdrängt‘ wurden? Gibt es umgekehrt Emotionen, die in der Monografie einen größeren Raum einnehmen? Und wie verhalten sich die Darstellung eigener Emotionen, die Darstellung der Emotionen anderer und die Wirkabsicht der Texte zueinander? Die Studie verbindet quantitative und qualitative Verfahren und verfolgt damit ein methodologisches Interesse: Das Vokabular wird anhand von Emotionsdiktionären digital ausgewertet. Schlüsselpassagen werden im close reading rhetorisch und narratologisch verglichen. Die Ergebnisse zeigen, wie Malinowski Emotionen, die im Tagebuch breiten Raum einnehmen, in der Monografie ausspart oder nur andeutet. Zugleich zeigen sie die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Philologie.