Zusammenfassung
Fragestellung Die Lebenserwartung für Menschen mit Querschnittlähmung (spinal cord injury/disease; SCI/D) steigt infolge der Fortschritte der paraplegiologischen und neuro-urologischen Behandlungsmethoden. Somit gewinnt jedoch das Risiko, an Harnblasenkrebs zu erkranken, an Bedeutung.
Methodik Retrospektive Single-Center-Auswertung von konsekutiven Patientendaten mit SCI/D und nachgewiesenem Harnblasenkarzinom.
Ergebnis Vom 1. Januar 1998 bis 31. März 2017 wurde bei 32 (3 weiblich, 29 männlich) von insgesamt 6432 Patienten mit SCI/D ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert. Das Durchschnittsalter bei der Blasenkrebsdiagnose lag mit 54,5 Jahren deutlich unter dem für Blasenkrebsfälle in der Allgemeinbevölkerung (männlich: 74, weiblich: 75 Jahre). 27 Patienten litten an einer urodynamisch bestätigten neurogenen Detrusor-Überaktivität, während 5 Patienten (alle männlich) eine neurogene Akontraktilität des Detrusors aufwiesen.Die mediane Latenzzeit zwischen dem Einsetzen der SCI/D und der Tumordiagnose betrug 29,5 Jahre. Temporäre Dauerkatheterisierungen wurden bei lediglich 4 Patienten für insgesamt nur 1,61 % der Latenzzeit aller Patienten gefunden.Die Mehrzahl der Patienten (n = 27) wies ein Urothelzellkarzinom auf, 5 Patienten hatten ein Plattenepithelkarzinom. 25 Patienten (78 %) hatten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits einen muskelinvasiven Tumor ≥ T2. 23 Patienten zeigten ein histologisch schlecht differenziertes G3-Karzinom, 2 Patienten hatten jeweils einen G2- und G1-Tumor (keine Angaben bei 5 Patienten).Das mediane Überleben für alle Patienten betrug 11,5 Monate. Die Prognose der Patienten mit Plattenepithelkarzinom war signifikant noch schlechter, 4 von 5 starben innerhalb von 7 Monaten (median 4 Monate).
Schlussfolgerung Das jüngere Alter bei Beginn der Tumorerkrankung und die Häufigkeit invasiver, schlecht differenzierter Tumoren bei der Diagnose weisen darauf hin, dass das Vorliegen einer SCI/D sowohl Risiko als auch Prognose der Blasentumorerkrankung signifikant beeinflusst. Die Latenzzeit zwischen Lähmungseintritt und Tumorerkrankung scheint ein maßgeblicher Risikoparameter zu sein.Die Art der neurogenen Blasenfunktionsstörung und des Blasen-Managements scheinen dagegen das Risiko nicht zu beeinflussen. Langzeit-Dauerableitungen der Harnblase spielten bei den untersuchten Patienten nur eine untergeordnete Rolle.Die Früherkennung von Blasenkrebs bei Patienten mit SCI/D bleibt eine Herausforderung.