Thiiraniumionen (Episulfoniumionen) sind seit vielen Jahren als Reaktionszwischenstufen bekannt, doch erst im Jahre 1977 zeigte Nicolaou im Rahmen einer systematischen Studie, dass diese reaktiven, heterocyclischen Kationen mit Carbonsäuren unter Bildung von Lactonen abgefangen werden können. In den folgenden Jahren wurde der Anwendungsbereich dieser Reaktion durch diverse Untersuchungen stark erweitert, insbesondere hinsichtlich der Methoden zur Generierung von Thiiraniumionen, der Kenntnisse über die mit der Reaktion verträglichen Nucleophiltypen und der Selektivität der Cyclisierung. Wir haben Thiiraniumionen seit vielen Jahren zur Synthese gesättigter Heterocyclen genutzt. Dabei werden die Thiiraniumionen durch Verdrängung einer Abgangsgruppe durch eine Sulfanylgruppe unter Nachbargruppenbeteiligung erzeugt, wohingegen Nicolaous Methode auf der elektrophilen Sulfenylierung von Alkenen beruht. Bei vielen der von uns beschriebenen Beispiele handelt es sich um reversible Cyclisierungen, und wenn zwei (und in einigen Fällen mehr) Produkte entstehen können, liefert der Ausgang der Reaktion grundlegende Informationen über die relative Stabilität der verschiedenen heterocyclischen Ringsysteme. Beginnend mit einer kurzen Einleitung über die Sulfanylgruppenbeteiligung als eine Methode zur Erzeugung von Thiiraniumionen (und Thiolaniumionen) wird in diesem Aufsatz im weiteren Verlauf die Idee beschrieben, Sulfanylwanderungen für die Synthese zu nutzen. Zuerst werden die Mechanismen von [1,2]‐Sulfanylwanderungen im Vordergrund stehen: Wir werden uns insbesondere mit [1,2]‐Sulfanylwanderungen (im Normalfall PhS) beschäftigen, bei denen eine Eliminierung, Substitution und Cyclisierung eintritt. Der Schwerpunkt verschiebt sich dann auf die Faktoren, die den Ausgang von Cyclisierungen beeinflussen. Hier werden vor allem Cyclisierungen in Gegenwart von Hydroxy‐Nucleophilen behandelt und Reaktionen untersucht, in denen mehr als ein Hydroxy‐Nucleophil zugegen ist. Cyclisierungen mit anderen Nucleophilen – Aminen und Sulfiden – werden ebenfalls angesprochen. Im Anschluss an die Diskussion über [1,2]‐Sulfanylwanderungen werden wir uns kurz mit dem Anwendungsbereich der [1,4]‐Sulfanylbeteiligung beschäftigen, um abschließend einige Richtlinien zu formulieren, die (so hoffen wir) anderen Chemikern der Organischen Chemie helfen werden, die Vorteile der Umlagerungen, die die Sulfanylgruppe eingehen kann, auszuschöpfen.