Anfang des 20. Jahrhunderts war Wien das intellektuelle Zentrum der Welt. Wissenschaft, Kunst und Philosophie beflügelten einander zu Höhenflügen und Innovationen, die die Welt erobern sollten. Doch nicht nur die neuen Ideen verließen Österreich. Ab 1934 und spätestens ab 1938 sahen sich auch viele der klügsten Köpfe gezwungen, das Land zu verlassen.Unter den unzähligen Diskussionszirkeln, die das geistige Leben der Stadt prägten, war der Wiener Kreis vielleicht der bedeutendste. Obwohl sein öffentliches Wirken sich auf die kurze Zeit zwischen 1929 und dem Verbot 1934 beschränkte, revolutionierte die neue Verbindung von Empirismus und formaler Logik nicht nur die internationale akademische Philosophie nachhaltig, sondern das generelle Verständnis der Wissenschaften und ihrer Methoden. Besonders in Mitteleuropa war das Erbe des Wiener Kreises nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings über lange Zeit durch klerikal konservativen Einfluss an Hochschulen und durch die (sogenannte) Kritische Theorie der Frankfurter Schule in Vergessenheit und Verruf geraten.Die historische und systematisch-philosophische Fachliteratur arbeitet seit etwa drei Jahrzehnten, insbesondere seit Gründung des Instituts Wiener Kreis 1991, intensiv an der Wiederentdeckung und Neubewertung der logisch empiristischen Philosophie des Wiener Kreises. Außerhalb einer Gruppe von Spezialisten 1 herrscht jedoch immer noch häufig Unkenntnis oder das Bild einer homogenen Gruppe naiver Positivistinnen und Positivisten vor, zum Teil auch in der Philosophie der Ökonomie. Je nach Stoßrichtung der Kritik wird mitunter sogar entweder der Vorwurf erhoben, es handle sich eher um sozialistische Aktivistinnen und Aktivisten als um Philosophinnen und Philosophen, oder aber der Wiener Kreis