Zusammenfassung
Ziel der Studie Gewalt in organisierten Gewaltstrukturen (GOG) wird als
Form lang anhaltender, wiederholter, häufig sexualisierter Gewalt vor allem
gegenüber Kindern, Jugendlichen oder Frauen durch vernetzte Täter:innen zur
finanziellen und machtbezogenen Bereicherung verstanden. Nachdem vereinzelte
Betroffenenberichte und historische Analysen die Möglichkeit dieses
Gewaltphänomens vor dem zeitlichen und geografischen Hintergrund der DDR
implizierten, beleuchtet diese Studie erstmalig GOG in der DDR aus Sicht der
Betroffenen.
Methodik N=10 pseudonymisierte Anhörungen und schriftliche Berichte von
Betroffenen sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter in der DDR, die
durch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
zur Verfügung gestellt waren, wurden mittels inhaltlich strukturierender
qualitativer Inhaltsanalyse sekundäranalytisch ausgewertet.
Ergebnisse Es fanden sich Berichte sexualisierter, physischer und
psychischer Gewaltanwendung. Die Betroffenen beschreiben GOG in verschiedenen
Kontexten, wobei weitere Kategorien (Täter:innen, Dauer/Häufigkeit der Gewalt,
Gewaltmotive) mitunter von diesen abhängig waren. Die Folgen für Betroffene sind
sowohl kurz- wie langfristiger Natur und zeigen sich verlaufen sowohl auf
gesundheitlicher (v. a. psychopathologischer) wie psychosozialer Ebene bis in
die Gegenwart. Abgesehen vom historischen Hintergrund fanden sich keine Hinweise
auf DDR-spezifische Merkmale des Gewaltphänomens.
Diskussion Die Erlebnisberichte von Betroffenen ermöglichen die
Perspektive des „erlebten Wissens“, welche ihre Grenze dort hat, wo
Beschreibungen das Wissen von Täter:innen (z. B. Gewaltmotive, Merkmale der
Gewaltstruktur) voraussetzen. Mögliche politisch-ideologische Merkmale der
Gewalt finden auch aufgrund der Betrachtung von GOG als „ideologiefreies“
Phänomen (im Gegensatz zu Ritueller Gewalt) keine Erörterung. Für eine
geschichtssensible Weiterführung von Forschung bedarf es neben definitorischer
Grenzziehungen unterschiedlicher Phänomene v. a. einer multiperspektivischen
sowie multiprofessionellen Herangehensweise.