ZusammenfassungLangjährig wurde die Sexualerziehung in der stationären Erziehungshilfe als passiv und „nicht vorhanden“ problematisiert. Ausgangspunkt dieser Kritik waren einerseits eine Pilotstudie von Reinhard Winter und andererseits ein Verständnis von (guter) Sexualerziehung als aktive Angebotsstruktur auf der Basis von ablesbaren Konzepten. Der vorliegende Beitrag nimmt beide Aspekte kritisch in den Blick. Die Aussagekraft der Pilotstudie wird analysiert und auf Basis des Erziehungsverständnisses von Michael Winkler ein alternatives Verständnis von Sexualerziehung skizziert, das auch eine scheinbar passive Sexualerziehung als qualifiziert gelten lässt, bei der die Erziehenden die Aneignungsprozesse der Kinder und Jugendlichen beachten. Ergänzend werden Daten einer empirischen Masterarbeit herangezogen, die darauf hindeuten, dass Erziehende in der stationären Erziehungshilfe die sexualitätsbezogenen Aneignungsprozesse der Kinder und Jugendlichen im Blick haben. Auf dieser Basis kommt der Beitrag zu dem Schluss, dass die langjährige Kritik möglicherweise nicht gerechtfertigt ist und weitere empirische Daten notwendig sind.