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Von der polysymptomatischen Hysterie zur Somatisierungsstörung der modernen psychiatrischen Klassifikationssysteme Pierre Briquet (1796-1881) -From polysymptomatic hysteria in the 19th century to somatization disorder in modern systems of psychiatric classification Ärzte waren zu allen Zeiten mit Patienten konfrontiert, die unter "funktionellen körperlichen Symptomen" litten. Bereits frühe ägyptische Schriften, aber auch das Corpus Hippocraticum berichten von Frauen mit einem bunten Symptombild an Erstickungsgefühlen, muskulären Spasmen, Verlust von Stimme und Sprache, Sturzneigung, Schweregefühl im Kopf und Bewusstlosigkeit. Eine "wandernde Gebärmutter" mit Kompression der unterschiedlichen Organsysteme und hieraus resultierenden organbezogenen Funktionsstörungen wurde als Ätiologie angenommen. Das Konzept der "'υστερα" markiert eine Denkrichtung der naturalistischen Medizin und verweist auf eine typische Erkrankung von Frauen. Trotz bekundeter Zweifel schon von Galen 1541 [7] an dem uterinen Ursprung der Hysterie hielt sich das Konzept bis in die Renaissance. Es nahm eine fatale theologische Wendung in den mittelalterlichen Hexenprozessen. Nur allmählich erlangte eine medizinische Konzeptualisierung in der Folgezeit wieder Oberhand über diese theologische Verurteilung. Modifikationen der gynäkologischen Position interpretierten hysterische Symptome als Resultat von Ausdünstungen des weiblichen Genitale, von sexuellen Fermentierungsprozessen. Im Lichte früher physikochemischer Forschung wurden diese Hypothesen bis Anfang des 19. Jahrhunderts ernsthaft diskutiert [15]. Eine widerstreitende neurologische Position betonte hingegen den zerebralen Ursprung der Hysterie [16, 26]. Bedeutsam wurde die Arbeit von Sydenham [22], der ebenfalls die zerebrale Basis der Hysterie herausstellte, innerhalb des Wissensfundus der Pathologie die Hysterie als eine "kritische Krankheit" mit chamäleonartiger Symptomatik und irregulärem Verlauf identifizierte. Er setzte die Hysterie in eine innige Beziehung zur Hypochondrie, indem er den gleichen pathogenetischen zerebralen Prozess beider Erkrankungen festhielt, geschlechtsdifferenziell aber die Hysterie als eine Erkrankung von Frauen, die Hypochondrie wiederum als eine von Männern formulierte. Spätestens mit Sydenham wurde auch der auslösende Einfluss heftiger emotionaler Erlebnisse bei hysterischen Zustandsbildern anerkannt.Mit der Beschreibung der Hysterie als "Erkrankung der Nerven" [25], als "Neurose" [4] wich allmählich der exklusive Charakter einer weiblichen Krankheit, Fälle von Hysterien bei Männern wurden, wenngleich in unverhältnismäßig geringerer Häufigkeit beschrieben. In Abgrenzung zu Sydenham unterschied der romantische Mediziner Hoffmann 1735 [9] auf einer symptomatologischen Basis die Hysterie von der Hypochondrie, indem er die vorrangig körperlichen ersterer, die vorrangig psychologischen Symptome letzterer unterstrich und zudem den eher akuten versus den eher chronischen Verlaufstypus an den beiden Störungen betonte (Übersicht: [20, 23, 24]).Innerhalb der sich entwic...
Von der polysymptomatischen Hysterie zur Somatisierungsstörung der modernen psychiatrischen Klassifikationssysteme Pierre Briquet (1796-1881) -From polysymptomatic hysteria in the 19th century to somatization disorder in modern systems of psychiatric classification Ärzte waren zu allen Zeiten mit Patienten konfrontiert, die unter "funktionellen körperlichen Symptomen" litten. Bereits frühe ägyptische Schriften, aber auch das Corpus Hippocraticum berichten von Frauen mit einem bunten Symptombild an Erstickungsgefühlen, muskulären Spasmen, Verlust von Stimme und Sprache, Sturzneigung, Schweregefühl im Kopf und Bewusstlosigkeit. Eine "wandernde Gebärmutter" mit Kompression der unterschiedlichen Organsysteme und hieraus resultierenden organbezogenen Funktionsstörungen wurde als Ätiologie angenommen. Das Konzept der "'υστερα" markiert eine Denkrichtung der naturalistischen Medizin und verweist auf eine typische Erkrankung von Frauen. Trotz bekundeter Zweifel schon von Galen 1541 [7] an dem uterinen Ursprung der Hysterie hielt sich das Konzept bis in die Renaissance. Es nahm eine fatale theologische Wendung in den mittelalterlichen Hexenprozessen. Nur allmählich erlangte eine medizinische Konzeptualisierung in der Folgezeit wieder Oberhand über diese theologische Verurteilung. Modifikationen der gynäkologischen Position interpretierten hysterische Symptome als Resultat von Ausdünstungen des weiblichen Genitale, von sexuellen Fermentierungsprozessen. Im Lichte früher physikochemischer Forschung wurden diese Hypothesen bis Anfang des 19. Jahrhunderts ernsthaft diskutiert [15]. Eine widerstreitende neurologische Position betonte hingegen den zerebralen Ursprung der Hysterie [16, 26]. Bedeutsam wurde die Arbeit von Sydenham [22], der ebenfalls die zerebrale Basis der Hysterie herausstellte, innerhalb des Wissensfundus der Pathologie die Hysterie als eine "kritische Krankheit" mit chamäleonartiger Symptomatik und irregulärem Verlauf identifizierte. Er setzte die Hysterie in eine innige Beziehung zur Hypochondrie, indem er den gleichen pathogenetischen zerebralen Prozess beider Erkrankungen festhielt, geschlechtsdifferenziell aber die Hysterie als eine Erkrankung von Frauen, die Hypochondrie wiederum als eine von Männern formulierte. Spätestens mit Sydenham wurde auch der auslösende Einfluss heftiger emotionaler Erlebnisse bei hysterischen Zustandsbildern anerkannt.Mit der Beschreibung der Hysterie als "Erkrankung der Nerven" [25], als "Neurose" [4] wich allmählich der exklusive Charakter einer weiblichen Krankheit, Fälle von Hysterien bei Männern wurden, wenngleich in unverhältnismäßig geringerer Häufigkeit beschrieben. In Abgrenzung zu Sydenham unterschied der romantische Mediziner Hoffmann 1735 [9] auf einer symptomatologischen Basis die Hysterie von der Hypochondrie, indem er die vorrangig körperlichen ersterer, die vorrangig psychologischen Symptome letzterer unterstrich und zudem den eher akuten versus den eher chronischen Verlaufstypus an den beiden Störungen betonte (Übersicht: [20, 23, 24]).Innerhalb der sich entwic...
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