Stefan Zweig hielt 1932 in Florenz eine Rede, in der er sich über die aktuelle Idee einer von ihm erwünschten europäischen Einheit äußerte. Anhand eines die ganze Kulturgeschichte umfassenden historischen Abrisses und eines zum Teil auf Freud rekurrierenden kulturpsycho(patho)logischen Vokabulars untermauert Zweig in „Der europäische Gedanke in seiner historischen Entwicklung“ seine zentrale These. Die Rede entspricht dem politischen Selbstverständnis Zweigs und zeugt von einem Krisenbewusstsein, das aus einem Konflikt von Ideal (europäischem Kosmopolitismus bzw. Übernationalismus) und politisch‐gesellschaftlicher Wirklichkeit (nationalistischen Tendenzen) hervorgeht. Zweigs Rede bringt mythische, historische, künstlerisch‐ästhetische und technisch‐wissenschaftliche Diskurse in ein spannungsreiches dialektisches und interdiskursives Verhältnis. Die interdiskursive Literarität macht plausibel, dass die im Vortragstext offensichtlich vorhandenen rhetorischen Spannungen bei einer ersten Lektüre oder einem Zuhören unbemerkt bleiben. Der Beitrag will aber solche rhetorischen Strategien und Widersprüche aufdecken, um auf diese Weise die literarische Komplexität dieser spezifischen Rede hervorzuheben; es soll dargelegt werden, wie der Redner die spezifische kommunikative Situation eines Vortrags ausnutzt, um seine nicht immer konsistenten Argumente zu entwickeln.