Die Suche nach den Eigenheiten österreichischer Literatur hat eine lange Tradition. Sie geht zurück bis ins 19. Jahrhundert und steht, der damaligen Dominanz des nationalstaatlichen Projekts in der deutschsprachigen Öffentlichkeit geschuldet, vorrangig unter politischen Vorzeichen. Konzeptionen wie die heute so zeitgemäß anmutende einer multiethnischen Kultur in Österreich-Ungarn nach 1866 sind ohne die politische Wirklichkeit der Doppelmonarchie nicht denkbar, und noch der „habsburgische Mythos“ (Magris) der Zwischenkriegszeit ist in der Verfassung des Vielvölkerstaats vor 1918 fundiert. Für die Zeit nach 1945 ist eine vergleichbare Beziehung von politischem und literarischem System bislang kaum in Erwägung gezogen worden. Das spezifisch Österreichische an der österreichischen Literatur glaubt man statt dessen in innerliterarischen Erscheinungen wie dem vielgenannten Hang zur Sprachkritik zu finden, welcher auf Autoren wie Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein zurückgeführt wird. Daß dies in Zeiten einer internationalen literarischen Öffentlichkeit kein hinreichendes Kriterium für Eigenständigkeit abgeben kann, haben die neueren Debatten eindrücklich vorgeführt.