ZusammenfassungDie Literatur der letzten Jahrzehnte über Suizid und suizidales Verhalten war vorwiegend geprägt von psychiatrischen Forschungsergebnissen zu Epidemiologie, klinischen Fragen sowie präventiven Maßnahmen. Ergebnisse aus der humanistischen Forschung könnten aber eine Befruchtung der Reflexion über die anthropologische Bedeutung des Suizids leisten.Es wird der Frage nachgegangen, ob zwischen einem philosophischen und einem medizinischen Paradigma des Suizids eine Ausschließlichkeit besteht oder aber eine Vereinbarkeit realisierbar ist. Dabei werden verschiedene Quellen als Ausgangspunkt für die Formulierung des jeweils psychiatrischen und philosophischen Paradigmas erörtert. Eine anthropologische Position wird als Kompromissfindung exploriert. Exkurs über die Auseinandersetzung mit der Legitimation eines ärztlich assistierten Suizids.Es lässt sich eine strenge wie auch eine moderate Position innerhalb beider Paradigmen formulieren. Eine Vereinbarkeit erfolgt über das Konzept des Menschenbildes, bestehend aus fünf Dimensionen. Die Formulierung von fünf bei Arzt, Patient und Gesellschaft symmetrischen Gefühlen (Angst, Wut, Hilflosigkeit, Ambivalenz und Macht) könnten die Frage der Bedeutung der therapeutischen Beziehung im Umgang mit suizidgefährdeten Menschen, als eingebettet im Konzept des Menschenbildes, erhellen.Das psychiatrisch- medizinische Paradigma hat seine Berechtigung auf der ethisch unausweichlichen Handlungsebene, während das philosophische Paradigma hilfreich wird in der Reflexion über tragische Suizidkonstellationen, also abgekoppelt von durch Ungewissheit geprägten Handlungskonstellationen. Eine medizinanthropologische Position vermag über das Konzept des Menschenbildes und der therapeutischen Beziehung beide Paradigmen auf der Handlungsebene einigermaßen zu einer Kongruenz zu bringen. Die Frage der Legitimation von assistiertem Suizid verweist auf die Notwendigkeit von ärztlichen Antworten über das kurative Selbstverständnis der Ärzteschaft hinaus.