Im April 1844 erhielt Theodor Mommsen das große dänische Reisestipendium2. Der 26jährige Jurist, der im Jahr zuvor an der Universität Kiel summa cum laude promoviert worden war, hatte die Wissenschaft als Beruf gewählt. Sein Plan war es, in Italien eine kom mentierte Neuausgabe römischer Gesetzesurkunden vorzubereiten. Angesichts der breiten inschriftlichen Überlieferung juristischer Zeugnisse richtete sich sein Interesse von Anbeginn an auf die lateinische Epigraphik. Das Projekt, von seinem Lehrer Otto Jahn angeregt, war ganz nach dem Geschmack führender Köpfe der Berliner Akademie der Wissenschaften, zu denen Mommsen durch Jahns Vermittlung Verbindung aufnehmen konnte. Dort prote gierten Savigny, Lachmann und Böckh den jungen Wissenschaftler und verschafften ihm eine zusätzliche Unterstützung. Seine Exzellenz der Staatsminister Savigny legte ihm nahe, unbedingt mit Bartolomeo Borghesi zusammenzutreffen, dem damals besten Kenner latei nischer Inschriften. Am 20. September 1844 bestieg Mommsen in Hamburg das Schiff. Drei Tage später ging er in Le Havre von Bord, um mit Postkutsche und Bahn nach Paris wei terzureisen. Ein Zufall wollte es, dass der Erste Sekretär des damals noch privat finanzierten Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Emil Braun, dort weilte; Mommsen sprach ihn im Medaillenkabinett der Bibliothek an, berichtete ihm von seinen epigraphischen Studien und verabredete ein Wiedersehen in Rom. Am 8. November 1844 verließ er Paris, um gut zwei Wochen später, am 24. November, in Genua den "heiligen Boden der Natur, der Kunst, der Geschichte" zu betreten3. Seine ersten Ziele waren die Städte der Toskana: Pisa, Lucca, Pistoia und Florenz, wo er fast den ganzen Dezember verbrachte, um in der Laurentiana Manuskripte lateinischer Autoren zu studieren und die Briefe Ciceros zu kollationieren. Am Abend des 30. Dezember traf Mommsen in der Ewigen Stadt ein. Schnurstracks ging er auf das Kapitol: "Da bin ich auf dem Capitol und höre den Wind um meinen Hügel pfeifen, wie er wohl um Romulus gepfiffen hat"4.