ZusammenfassungInfektionen durch enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC)‐Bakterien können beim Menschen wässrige und blutige Durchfälle verursachen und im schlimmsten Fall das lebensbedrohliche hämolytisch‐urämische Syndrom (HUS) auslösen. Die Infektion wird in den meisten Fällen durch kontaminierte Lebensmittel verursacht. Der Hauptvirulenzfaktor der EHEC‐ Bakterien ist das Shiga Toxin (Stx), weshalb diese Keime der Gruppe der Shiga Toxinproduzierenden Escherichia coli (STEC) zugeordnet werden. Das Stx bindet an die Glykosphingolipid (GSL)‐Rezeptoren Globotriaosylceramid (Gb3Cer) und Globotetraosylceramid (Gb4Cer) auf der Zelloberfläche und wird dann durch Endozytose in die Zelle aufgenommen. Nach Internalisierung wird das Stx durch retrograden Transport in das Endoplasmatische Retikulum (ER) geleitet, wo die enzymatisch aktive A‐Untereinheit des Stx abgespalten wird. Die A‐Untereinheit inhibiert irreversibel die Proteinbiosynthese, woraufhin der Zelltod eintritt. Durch Stx verursachte Schäden treten im menschlichen Körper überwiegend an den Endothelzellen der Niere und des Gehirns auf. Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Zellen insbesondere einen hohen Gehalt des Gb3Cer‐Rezeptors aufweisen, an den die humanpathogenen Stx‐Subtypen Stx1a und Stx2a präferentiell binden. Andere Stx‐Subtypen, wie das Stx2e, binden bevorzugt an den GSL‐Rezeptor Gb4Cer. Das Gb4Cer tritt vor allem bei Schweinen in fast allen Organen auf, woraus sich die von Stx2e verursachte tödliche Ödemkrankheit in diesen Nutztieren erklären lässt. Es konnte gezeigt werden, dass beim Menschen nicht nur Endothelzellen verschiedener Organe Stx‐Rezeptoren aufweisen, sondern auch Epithelzellen der Niere und des Darms, die GSL‐Rezeptoren auf ihrer Zelloberfläche präsentieren. Von besonderem Interesse sind die intestinalen Epithelzellen, da sie die primäre Barriere zwischen Darm und Blutkreislauf darstellen.Im Rahmen dieser Dissertation wurde die Interaktion von Stx mit primären intestinalen und renalen Epithelzellen detailliert analysiert. Die Untersuchung der eingesetzten Zelltypen erlaubt einen vertiefenden Einblick in die zellulären Prozesse der durch Stx‐verursachten Zell‐ und Organschäden und liefert Grundlagenwissen für die Entwicklung neuer Präventionsmaßnahmen und Therapien zur Bekämpfung von EHEC‐Infektionen. Hierfür wurden drei primäre Epithelzelltypen ausgewählt und zwar primary human colonic epithelial cells (pHCoEpiCs), primary human renal cortical epithelial cells (pHRCEpiCs) und primary human renal proximal tubular epithelial cells (pHRPTEpiCs). Für die Identifizierung und strukturelle Charakterisierung wurden GSL‐Präparationen sowie lipid raft‐analoge Membranpräparationen mittels immunchemischer und massenspektrometrischer Methoden analysiert. Die Bestimmung der durch Stx‐verursachten Zellschädigung von intestinalen und renalen Epithelzellen erfolgte durch Zytotoxizitätstests mit den Stx‐Subtypen Stx1a, Stx2a und Stx2e. Schlussendlich wurde die Wechselwirkung von lipid raft‐analogen Membranpräparationen mit den Stx‐Subtypen Stx1a, Stx2a und Stx2e mittels Echtzeit‐Interaktionsanalyse mit surface acoustic wave (SAW)‐Biosensoren untersucht.Der dünnschichtchromatographische immunchemische Ansatz ergab für alle drei Zelltypen die GSL Gb3Cer und Gb4Cer als Stx‐Rezeptoren. Darüber hinaus wurde in den renalen Epithelzellen Globopentaosylceramid (Gb5Cer) gefunden. Gb3Cer war in renalen Epithelzellen der dominante Stx‐Rezeptor, wohingegen in den pHCoEpiCs Gb4Cer vorherrschte. Die immunchemischen Experimente mit den Stx‐Subtypen Stx1a und Stx2a bestätigten, dass der Gehalt von Gb3Cer in den renalen Epithelzellen höher war als im Vergleich zu Gb4Cer. Im Gegensatz dazu wurde bei den pHCoEpiCs nur eine schwache Reaktion von Stx1a und Stx2a mit Gb3Cer und Gb4Cer festgestellt, während der immunchemische Overlay Assay mit Stx2e erwartungsgemäß eine starke Bindung an den präferentiellen Gb4Cer‐Rezeptor aufwies. Die massenspektrometrische Untersuchung ergab, dass alle GSL den langkettigen Aminoalkohol Sphingosin (d18:1) besaßen, jedoch eine heterogene Verteilung der Fettsäureketten zeigten. In allen Epithelzellen wurden für Gb3Cer die Lipoformen mit den Fettsäureketten C16:0, C24:1 und C24:0 und für Gb4Cer C16:0, C22:0, C24:1 und C24:0 detektiert. Zusätzlich wurden in den GSL der pHCoEpiCs die Fettsäureketten C22:1 und C24:2 für Gb4Cer detektiert und in den renalen Epithelzellen wurde die Gb3Cer‐Lipoform mit der Fettsäurekette C22:0 gefunden. Für das GSL Gb5Cer aus den renalen Epithelzellen wurde Ceramid mit den Fettsäuren C16:0, C22:0, C24:1 und C24:0 nachgewiesen.Zur Bestimmung der zytotoxischen Wirkung von Stx1a und Stx2a (bei pHCoEpiCs auch Stx2e) auf die Epithelzellen wurden die Toxine im Konzentrationsbereich von 10‐3 pg/mL bis 106 pg/mL eingesetzt. Aufgrund des geringen Gb3Cer‐Gehaltes in den pHCoEpiCs wurde mit den beiden Stx‐ Subtypen Stx1a und Stx2a nur ein geringfügiger zytotoxischer Effekt erzielt. Lediglich Stx2e zeigte eine signifikante toxische Wirkung mit einer 71 %igen Überlebensrate bei maximaler Toxinkonzentration. Die renalen Epithelzellen waren deutlich sensitiver gegenüber Stx1a und Stx2a. Hier konnte eine 50 %ige Zellüberlebensrate (cytotoxic dose, CD50) im Falle der pHRCEpiCs bei einer Konzentration von 1,51 χ 106 pg/mL für Stxia und 1,25 χ 106 pg/mL für Stx2a bestimmt werden. Die größte Sensitivität gegenüber den Toxinen wiesen die pHRPTEpiCs mit CD50‐Werten von 1,31 χ 102 pg/mL für Stx1a und 1,66 χ 103 pg/mL für Stx2a auf.Für die Echtzeit‐Interaktionsstudien wurden aus den Epithelzellen lipid raft‐analoge Membranpräparationen isoliert und in Detergenz‐resistente Membranen (DRM), welche die Mikrodomänen der liquid‐ordered membrane phase (Io Phase) repräsentieren und lipid raftStrukturen beinhalten, und Nicht‐DRM‐Fraktionen, die der liquid‐disordered membrane phase (Id Phase) entsprechen, fraktioniert. Bei allen drei Epithelzellen wurden die höchsten Anteile von Gb3Cer und Gb4Cer in den DRM‐Fraktionen nachgewiesen. Massenspektrometrisch wiesen die Rezeptoren Gb3Cer und Gb4Cer unterschiedliche Lipoformen in den DRM‐ und Nicht‐DRM‐ Fraktionen auf. In den DRM‐Fraktionen waren die Rezeptoren mit gesättigten Fettsäureketten und in den Nicht‐DRM‐Fraktionen die mehrfach ungesättigten Fettsäureketten angereichert. Cholesterol und Sphingomyelin (SM) traten als lipid raft‐assoziierte Bestandteile ebenfalls in hohem Ausmaß besonders in den DRM‐Fraktionen auf. Die massenspektrometrische Analyse der Phospholipide aus den DRM‐ und Nicht‐DRM‐Fraktionen zeigte, dass in den Nicht‐DRM‐Fraktionen vermehrt Lyso‐ Phosphatidylcholin (PC), welches als Marker für die Id Phase gilt, vorhanden ist. Die Analyse der PCs zeigte eine identische Verteilung der Lipoformen der DRM‐ und Nicht‐DRM‐Fraktionen, wie sie bei den GSL‐Rezeptoren auftraten. So wiesen die Fettsäureketten der PCs der DRM‐Fraktionen aus den intestinalen und renalen Epithelzellen einen hohen Sättigungsgrad auf und bei den Nicht‐DRM‐ Fraktionen waren besonders viele mehrfach ungesättigte Fettsäureketten zu finden.Zur Charakterisierung der Stx‐Rezeptor‐Interaktion wurden mit den DRM‐ und Nicht‐DRM‐ Fraktionen aus pHCoEpiCs, pHRPTEpiCs und zum Vergleich dazu aus primary human brain microvascular endothelial cells (pHBMECs) Echtzeit‐Interaktionsanalysen durchgeführt. Hierzu wurden aus den DRM‐und Nicht‐DRM‐Fraktionen eine Lipiddoppelschicht auf einem SAWBiosensor erstellt und die Wechselwirkung mit den affinitätsgereinigten Stx‐Subtypen Stx1a, Stx2a und Stx2e untersucht. Aus den kinetischen Daten wurden die Assoziations (kass)‐ und Dissoziationsgeschwindigkeitskonstanten (kdiss) sowie die Gleichgewichtsdissoziationskonstante (KD) mit einem 1:1 Bindungsmodell berechnet, wobei ein niedriger KD‐Wert eine starke Affinität und ein hoher KD‐Wert eine schlechte Affinität repräsentiert.Die Interaktion von Stx1a ergab für die DRM‐ und Nicht‐DRM‐Fraktionen der pHCoEpiCs mit KD‐ Werten von 2693,46 nM und 6137,90 nM eine schwache Bindung. Im Gegensatz dazu wies Stx1a mit einem KD‐Wert von 79,50 nM eine sehr hohe Affinität zu den DRMs der pHRPTEpiCs auf, während die schwache Interaktion mit der Nicht‐DRM‐Fraktion nicht auswertbar war. Diese großen Unterschiede bei den DRM‐Fraktionen sind vor allem in der deutlich schnelleren Assoziation von Stx1a begründet. Die Parallelexperimente von Stx2a mit den DRM‐Fraktionen der pHCoEpiCs deuteten im Vergleich zu Stx1a auf eine höhere Affinität hin, da für die DRM‐Fraktion der KD‐Wert 506,88 nM und für die Nicht‐DRM‐Fraktion 842,26 nM betrug. Die Interaktion der DRM‐Fraktionen der pHRPTEpiCs gegenüber Stx2a zeigte eine schwächere Affinität zur DRM‐Fraktion (KD = 1029,39 nM) als bei der Nicht‐DRM‐Fraktion (KD = 400,40 nM). Bei den DRM‐Fraktionen der pHBMECs wurde für Stx2a eine schnelle Assoziation beobachtet, woraus ein sehr niedriger KD‐ Wert von 76,75 nM resultierte. Bei den Nicht‐DRM‐Fraktionen von den pHBMECs konnte für Stx2a keine Interaktion beobachtet werden. Stx2e lieferte für die DRM‐Fraktion aus den pHCoEpiCs einen KD‐Wert von 390,60 nM und für die Nicht‐DRM‐Fraktion von 1330,87 nM. Vergleichende Messungen mit den pHBMECs ergaben eine ähnlich moderate Affinität von Stx2e zur DRM‐Fraktion mit einem KD‐Wert von 202,37 nM, während die Affinität der Nicht‐DRM‐Fraktion nicht auswertbar war.Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Echtzeit‐Interaktionsanalysen, dass der Gehalt an Rezeptoren und der Rezeptortyp Unterschiede in den Bindungen zu den Membranpräparationen bedingen. Analog zu diesen Ergebnissen ergaben sich signifikante Unterschiede hinsichtlich des Adhäsionsverhaltens der Epithel‐ und Endothelzellen gegenüber den Stx‐Subtypen. So korreliert der höhere Gb4Cer‐Gehalt in den pHCoEpiCs mit einer höheren Affinität gegenüber Stx2e, wohingegen die Bindung von Stx1a und Stx2a deutlich schwächer ist. Die pHRPTEpiCs zeigen dagegen eine starke Affinität zu Stx1a und eine mit den pHCoEpiCs vergleichbare Interaktion für Stx2a. Die Affinität der DRM‐Fraktionen der pHBMECs zu Stx2a und Stx2e war vergleichsweise relativ hoch, wobei Stx2e eine starke Bindung aufwies, obwohl der Anteil des präferentiellen Gb4Cer‐Rezeptors niedriger ist im Vergleich zu Gb3Cer. Der Grund dafür ist der hohe Gesamtgehalt an GSL‐Rezeptoren in humanen Endothelzellen. Diese Ergebnisse zeigen eine deutliche Korrelation zwischen der Häufigkeit und der Präsenz von Gb3Cer, dem hochaffinen Rezeptor der humanpathogenen Subtypen Stx1a und Stx2a und dem Gehalt an Gb4Cer, dem präferentiellen Rezeptor von Stx2e, in den lipid raft‐analogen Membranpräparationen.Abschließend wurde das Potential der SAW‐Technik zur Untersuchung der nicht‐kovalenten Interaktion in biomolekularen Prozessen für die Charakterisierung der Bindung von Hämagglutininen humaner Influenza‐A‐Viren vom Typ H1N1 und H7N7 gegenüber terminal sialylierten Neoglykolipiden (NeoGL) getestet, die in Modellmembranen inseriert wurden. Die Daten zeigen eine bevorzugte Bindung an terminal a2‐6‐verknüpfte N‐Acetylneuraminsäure und eine schwächere Interaktion von H1 und H7 mit den typisch aviären Strukturen mit einer a2‐3‐verknüpften Sialinsäure. Neben der spezifischen Erkennung des Sialylierungstyps ist die Länge der neutralen Oligosaccharidkette für die Affinität gegenüber dem Hämagglutininrezeptor von funktioneller Bedeutung.Die Ergebnisse dieser Dissertation zeigen, dass die SAW‐Technik eine hervorragende Methode für Bindungsstudien von bakteriellen und viralen Lektinen mit ihren Rezeptoren in Membranpräparationen darstellt. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung dienen der Entwicklung geeigneter Inhibitoren beispielsweise gegen Stx, um zukünftig schwere Krankheitsverläufe durch EHEC‐Infektionen zu mildern oder zu verhindern.