Zusammenfassung
Ziel der Studie Die vorliegende Arbeit untersucht erstens, ob die
Fachkräfte ihre Krisen- und Behandlungserfahrungen in ihrer
Selbsterfahrung thematisierten. Zweitens wird beleuchtet, ob und inwieweit sie
konzeptuell zwischen den Formaten Selbsterfahrung und Psychotherapie
unterscheiden.
Methodik Im Rahmen einer Onlineumfrage wurden 108 Fachkräfte mit
psychotherapeutischer Qualifikation zu ihrer Selbsterfahrung befragt.
Zusammenhänge zwischen der Bearbeitung eigener Krisen in der
Selbsterfahrung, der Krisenhäufigkeit und dem erlebten Nutzen der
Selbsterfahrung wurden mittels Korrelationen analysiert. Zur Analyse
konzeptueller Unterschiede zwischen Selbsterfahrung und Psychotherapie wurden
den Teilnehmenden neun inhaltliche Aspekte vorgelegt, die sie bezüglich
ihrer Bedeutsamkeit für beide Formate einschätzten. Die
Mittelwerte der Einschätzungen wurden zwischen verschiedenen Subgruppen
mittels t-Tests verglichen.
Ergebnisse Die Teilnehmenden gaben überwiegend an, eigene
Krisenerfahrungen in der Selbsterfahrung bearbeitet und von der Selbsterfahrung
profitiert zu haben. Zwischen beiden Größen zeigte sich ein
signifikanter Zusammenhang. Hinsichtlich der konzeptionellen Abgrenzung der
Formate ergab sich ein differenziertes Bild: Die Teilnehmenden ordneten
persönlich-biographische Kategorien eher der Psychotherapie zu,
berufliche Kategorien eher der Selbsterfahrung.
Diskussion Angesichts der unter psychosozialen Fachkräften
verbreiteten Stigmatisierung von Personen mit psychischen Gesundheitsproblemen
war es überraschend, dass viele Teilnehmende eigene Krisenerfahrungen in
der Selbsterfahrung thematisierten und dabei positive Erfahrungen machen
konnten. Ebenso war die stärkere Zuordnung
persönlich-biographischer Inhaltsaspekte zur Psychotherapie im Vergleich
zur Selbsterfahrung überraschend, vor allem in Bezug auf die Bedeutung
des psychotherapeutischen Wirkfaktors Beziehung.
Schlussfolgerung Selbsterfahrung sollte ein stigmafreier Raum sein, in dem
angehende Therapeut*innen ohne Angst ihre persönlichen
Belastungen thematisieren und dadurch als Personen wachsen können.