ZUSAMMENFASSUNGHandlungsregeln organisieren und synchronisieren die Abläufe aller Situationen in psychiatrischen Akutstationen. Das Forschungsprojekt „Simulation und Reduktion von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie“ (SRZP) fokussiert sich auf die Analyse von psychiatrischen Gefährdungssituationen (PGS), d. h. auf jene wenigen Minuten, bevor und während Zwangsmaßnahmen angewendet werden. Die vorgestellte Methode der konstitutiven und regulativen Regeln vollzieht einen Perspektivwechsel von der personenzentrierten zur situationsbezogenen Analyse der Gewalt- und Zwangsvorkommnisse. Durch eine Informantenbefragung zur Einstellung (Zustimmung, Ablehnung) und zum Realitätsstatus (Geltung, keine Geltung) der Regeln wird gezeigt, wie verschiedene Handlungsspielräume (Orientierungsraum, Obligationsraum, Alternativraum und Ausschlussraum) in der Behandlungspraxis voneinander abgegrenzt werden können. Im Ergebnis dieser Studie: von allen interklinisch in PGS identifizierten Handlungsregeln (ni = 918) zeigen sich intraklinisch 61,4 % als gültig, aber 71,8 % finden Zustimmung. Die Diskrepanz wird durch ein ungeregeltes Entscheidungsvakuum erklärt, das die Teamkohärenz bedrohen könnte, wenn im Team die Einstellung vorherrscht, dass dieses Vakuum besser geregelt werden sollte. Die Studienlage, die einen gegenläufigen Zusammenhang zwischen steigender Teamkohärenz und Gewaltreduktion herstellt, bestätigt die vorgestellten Ergebnisse. Eine Anwendung der Ergebnisse besteht darin, die Diskrepanz gezielt für Deeskalationstraining und Teamsupervision zu nutzen, um den Reformstau in Richtung einer gewaltärmeren Psychiatrie abzubauen.