2010 erschien Thilo Sarrazins apokalyptisches Buch "Deutschland schafft sich ab". Deutschland werde untergehen, so Sarrazin, weil es von gebärfreudigen, unangepassten und rückständigen Muslimen unterwandert werde. Das Buch wurde weniger gelesen, sondern -in einer Art Bekenntnisakt -gekauft. Für diejenigen, die "Deutschland schafft sich ab" zum Bestseller gemacht haben, war es ein Statement, dieses Buch zu kaufen. Mit dem Kauf konnten sie ihr Unbehagen über die gesellschaftlichen Veränderungen kanalisieren. Es gab ihnen ein Ventil, sich über Integrationsverweigerer mit Migrationshintergrund aufzuregen. Gut fünf Jahre später ist Deutschland immer noch da. Und mehr als das: es ist seither im Ranking der Einwanderungsländer auf den zweiten Platz hinter den USA gelangt. Attraktive Einwanderungsländer sind diejenigen, die soziale und ökonomische Perspektiven und demokratische Verhältnisse versprechen. Das haben die Menschen so gesehen, die Ende des 19. Jahrhunderts aus deutschen Regionen in die USA ausgewandert sind. Das sehen die ehemaligen Gastarbeiter so, deren Kinder und Enkel heute als Nachkommen von Einwanderern in Deutschland leben. Und das sehen die Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Eritrea so, die vor Krieg, Zerstörung, korrupten Regimen und Perspektivlosigkeit fliehen. Aus ihrer aller Sicht ist Deutschland ein Land mit Perspektive. Nach dem Mikrozensus 2015 hatten im Jahr 2014 unter der Bevölkerung Deutschlands 20,5 Prozent einen Migrationshintergrund. Von diesen 16 Millionen Menschen sind neun Millionen Deutsche. Deutschland erklärt sich zwar selbst nicht offiziell als Einwanderungsland, ist aber ein solches geworden. Annette Treibel ist Professorin für Soziologie am Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Ihr Buch zum Thema "Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland" ist im September 2015 im Campus Verlag erschienen.
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