Zusammenfassung: Moderne Demokratien formulieren den Selbstanspruch, dass sich alle, die von einem Gesetz betroffen sind, als dessen Urheber*innen verstehen können müssen. Doch im Zusammenhang von Flucht und Migration stößt die Realisierung dieses Anspruchs prinzipiell an Grenzen: Geflüchtete haben, obwohl sie existenziell betroffen sind, keine Möglichkeit, über die Gesetze ihres Ein-und Ausschlusses demokratisch mitzuentscheiden, denn sie gehören nicht zum demos. In der politischen Philosophie der Gegenwart wird diese Situation als demokratisches Paradox bezeichnet und es werden verschiedene Ansätze diskutiert, wie sich mit diesem Paradox in einer emanzipatorischen Weise umgehen ließe. Der vorliegende Beitrag nimmt diese Diskussion auf und erweitert sie um eine pragmatistische Perspektive auf Demokratie. Unter dieser Perspektive genügt es nicht, Demokratie bloß als eine Form legitimer Herrschaft im Sinne der ‚Volkssouveränität' zu verstehen. Vielmehr muss der Demokratiebegriff auch jene experimentellen Erfahrungs-und Lernprozesse einschließen, die politische Akteur*innen in ihrem Handeln durchlaufen und durch die sie die paradoxen Effekte der Demokratie auf unterschiedliche Weise zu bearbeiten lernen. Unter Rückgriff auf die pragmatistische Handlungs-und Wissenschaftstheorie von John Dewey und Charles S. Peirce wird gezeigt, dass der demokratische Prozess ein dialektischer Prozess ist, der sich über den ‚Umweg' des Dissenses und des Experiments einem Ideal der Inklusion schrittweise annähern kann. 72 Das demokratische Paradox des Flüchtlingsschutzes Um den pragmatistischen Ansatz zu entfalten und sein exploratives und kritisches Potenzial zu erproben, wird im Beitrag immer wieder auf konkrete politische Ereignisse Bezug genommen, allen voran auf die politischen Kämpfe der Geflüchteten selbst. Diese Kämpfe sind auch philosophisch aufschlussreich, weil sie an den paradoxen Effekten moderner Demokratien ansetzen und Praktiken ihrer möglichen Bearbeitung aufzeigen, an die die theoretische Reflexion anschließen kann. Zwar sind-so lautet das Ergebnis der Untersuchung-Grenzziehungen und Ausschlüsse im Politischen unvermeidbar. Doch kann ihre konkrete Erfahrung zum ‚Motor' demokratischer Lernprozesse werden, die ihrerseits die Perspektive auf eine Transformation der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Institutionen eröffnen.
COVID-19 and its social and political consequences have led to increased attention to the sometimes philosophically neglected concept of solidarity. This paper reflects the discourse on solidarity in times of COVID-19 from the viewpoint of the philosophical debate on solidarity. We argue that currently – regarding this debate – the critical potential of solidarity as a political concept is often undermined. Solidarity should rather be used as a social-diagnostic lens to focus on and criticise problematic exclusions caused by current political developments. This applies especially to the cross-border and transnational dimension of political solidarity, which is often neglected in the national constrictions of political COVID-19 strategies. The paper concludes with observations on which levels and in which directions the reflection on solidarity could stimulate both the political and the philosophical debate on global crises such as COVID-19.
Studien, die Fluchtanalysen explizit als Demokratieforschung denken, sind relativ jung. Ebenso steht die Debatte um eine Demokratisierung der Fluchtforschung selbst erst am Anfang. Der folgende Beitrag bringt eine Auswahl an Ansätzen aus Politischer Philosophie und empirischer Sozialwissenschaft miteinander ins Gespräch, die zur Bearbeitung dieser Problemstellung beitragen können. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen Fragen nach der politischen Exklusion Geflüchteter, nach den Formen ihrer politischen Partizipation sowie nach den (Un-)Möglichkeiten, die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Flucht selbst partizipativer und damit demokratischer zu gestalten. Wir argumentieren, dass das Wechselverhältnis von Demokratie und Flucht nur im Dialog verschiedener Disziplinen und methodischer Herangehensweisen angemessen bearbeitet werden kann.
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