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Die Rhetorik ist tot -es lebe die Rhetorik! Mit dieser Sentenz wird zugleich ein Bruch und ein Kontinuum artikuliert und ins Bild gebracht: Die Rhetorik wird in die Endgültigkeit des Grabes verwiesen und mit dem gleichen Atemzuge auf die Bühne der Weltgeschichte gehoben. Woher dieser Gegensatz und seine gleichzeitige Aufhebung?Es ist die Ambivalenz der Rhetorik, die zu Nekrologen Anlaß gibt und Reanimationen provoziert, eine Ambivalenz, die dafür verantwortlich ist, daß die Geschichte der Rhetorik auch als eine Geschichte von Konjunkturen geschrieben werden kann: Blütezeiten der Rhetorik und der praktischen Beredsamkeit wechseln mit Zeiten des Verfalls von rednerischer Theorie und Praxis. Epochen, in denen von einer Rhetorisierung der Lebenswelt gesprochen werden kann, in denen das Lob der Rhetorik gesungen und ihr kultureller Nutzen verkündet wird, lassen sich von Epochen abgrenzen, in denen die öffentliche Rede schweigt und die Verurteilung der Rhetorik mit Vehemenz zu Gehör gebracht wird.Die Verfügbarkeit rhetorischer Erkenntnisse sowohl für die sittliche Redeabsicht und humane Sprachintention als auch für die diabolische List und geheime Verführung ist eine andere Lesart für ihre eingangs postulierte Doppelwertigkeit: Der Fundus der Rhetorik steht offen für die emanzipatorische Redepraxis und den kompromißlosen Herrschaftswillen, für den rednerischen Ausdruck der gegenseitigen Achtung ebenso wie für die in Sprache gebrachte Unterdrückung des Mitmenschen. Die Rhetorik besitzt keinen eingebauten Widerstand gegen ihren geplanten, ihren bewußt inszenierten Mißbrauch.Der Bruch mit der Rhetorik ist ein Teil ihres gesellschaftlichen Werdegangs: er wird akut im platonischen Diktum gegen die sprachlichen Techniken der Verführung und Überredung, gegen die manipulativen Tricks und argumentativen Finessen. Schon antike Philosophen warnen vor einer Rhetorik, die gerichtet ist auf die Entmündigung des Publikums in der festlichen Veranstaltung, auf dem politischen Forum und im Saale der Rechtsprechung.Der Bruch mit der Rhetorik, als Abkehr von der Redelehre und als Verdammung der Redekunst, findet sich ebenso in der mittelalterlich-christlichen Wendung gegen die heidnische Rede, wird reproduziert in den scharfen Attacken, die im Zeitalter der Aufklärung und im Namen der Vernunft gegen die rhetorische Tradition geritten werden.Weitere Varianten der Abwertung, mit denen man der Rhetorik auch heute begegnet, sind Aussagen wie: Das ist rhetorisch und nicht substantiell, das ist Schönrednerei und nicht sachliches Argumentieren, das ist Überredung und nicht Überzeugung. Diese pejorativen Wendungen lassen sich ergänzen: Rhetorik als sophistische Redetechnik, als verwertbarkeitsorientierte Sozialtechnologie , als ahistorisches, unkritisches, wertneutrales und funktionalisierbares System, als persuasive Strategie , als Kommunikations-und Persuasionspsychologie , als amoralische Verführungskunst und Manipulationsstrategie -eine solche Rhetorik fällt dem Verdikt des aufgeklärten und räsonnierenden Bürgers anheim. Für Goethe war 15 (19...
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