Kein Geringerer als Leonardo da Vinci lehrt uns ›Wer immer nur Autoritäten zitiert macht zwar von seinem Gedächtnis Gebrauch doch nicht von seinem Verstand‹ Prägt euch das endlich ein: Mit Leonardo los von den Autoritäten!« Erich Fried: »Befreiung von den großen Vorbildern« Brechen mit den großen Vorbildern, Infragestellen vermeintlich überholter Denkmuster, Strukturen und Institutionen -Erich Frieds Gedicht scheint das Anliegen parodistischer Kunst im Kern zusammenzufassen. Doch pointiert es mit wenigen Worten auch die diesem Vorhaben immanente Ironie, ja sogar Paradoxie, wenn Fried in der zweiten Strophe postuliert: »Mit Leonardo | los von den Autoritäten!« Zunächst präsentiert das Gedicht Leonardo als einen epochalen Aufklärer und Widerstandskämpfer, der die Parole ausgibt, man müsse sich von der Imitation großer Vorbilder lösen. Darauf folgt ein Perspektivwechsel und das Gedicht lenkt den Blick auf diejenigen, die diesem Aufruf Folge leisten sollen und, indem sie dabei auf ein Vorbild (Leonardo) festgelegt werden, in Widerspruch zu sich selbst und der gestellten Forderung geraten. Frieds dialektische Argumentation macht die Lesenden des Gedichts darauf aufmerksam, dass die scheinbar so grundsätzlichen Akte der Befreiung von etwas und der (erneuten) Bindung an etwas einander auf einer tieferen Ebene nicht ausschließen und deshalb immer wieder in derselben Abfolge in Erscheinung treten. Diese paradoxe Grundstruktur weisen auch (Bild-)Parodien auf: Zwar dient der für (Bild-)Parodien konstitutive Verweis auf ein bestimmtes Vorbild meist dazu, dieses oder die mit ihm verbundenen (Be-)Deutungen, Normen und Diskurse kritisch zu hinterfragen, doch durch den Moment der Wiederholung
Auch wenn bislang eine Systematisierung der Bildparodie und ihre theoretische Fundierung ausstehen, sind parodistische Bildfindungen seit dem späten Mittelalter und besonders in der Frühen Neuzeit eine ständige Begleiterscheinung akademischer Kunst und entsprechender Kunstdiskurse. 1 Als Form »invektiver Künstlerkommunikation« stellen sie ein beliebtes Mittel dar, mit dem Bilder sich auf unterschwellige und dennoch gezielte Weise in den Kunstdiskurs ihrer Zeit einmischen, gegen Kontrahent*innen wettern oder kanonische Vorbilder auf den Prüfstand stellen. 2 Die bekannteste frühneuzeitliche Bildparodie ist sicherlich ein Niccolò Boldrini zugeschriebener Holzschnitt nach einer verlorenen Zeichnung von Tizian aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der in der Forschungsliteratur den Namen »Affenlaokoon« trägt [Abb. 1]. Doch was außer der später hinzugefügten Werkbezeichnung macht aus diesem Blatt eine Bildparodie? Eine eingehende Beschreibung klärt auf: Gemäß dem Titel sehen wir vor einer hügeligen Landschaft drei Affen in wilder Verrenkung mit einer überlangen Schlange kämpfen, wobei der mittlere Affe die bei-
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Jameson, einer der ersten Theoretiker und Kritiker der Postmoderne, sprach der Parodie in seinem bekannten Aufsatz »Postmodernism and Consumer Society« seiner Zeit angesichts der künstlerischen und kulturellen Pluralität jede kritische Einspruchsmacht ab (vgl. Kap. 2). Er argumentierte, dass es Parodien nur dann geben könne, wenn eine (gesellschaftliche, kunsttheoretische oder ästhetische) Norm existiert, an der sich die Parodist*innen abarbeiten und gegen deren Rigidität sich der parodistische Spott richten kann. 1 Der postmoderne Zeitgeist des »anything goes«, der keine Regeln mehr kennt, verunmöglicht laut Jameson das Auftreten parodistischer Kunstwerke, da angesichts der potentiellen Gleichartigkeit und Gleichgültigkeit aller Bildideen kein archimedischer Punkt mehr existiert, der ein objektives Urteil über Bilder und Gedanken erlaubt. 2 Ohne Norm gibt es keine Devianz.
War es Ziel der ersten Teilthese, das Verweisungsspiel, welches (postmoderne) Bildparodien inszenieren, genauer zu betrachten und den damit einhergehenden Denkraum zu öffnen, muss es im nächsten Schritt darum gehen, diese Verweisungsebene, ist sie einmal erkannt, zu systematisieren. Die Bedeutung von Bildparodien konstituieren sich, genauso wie bei jedem Zeichen, aus dem Zusammenspiel (mindestens) zweier Schichten. Diese lassen sich zeichentheoretisch als eine anwesende (etwas Gesehenes, Sich-Zeigendes, im Modus der Anschauung gegenwärtig) und eine abwesende (als etwas Gezeigtes, Etwas-Zeigen, Sinngenerierung oder Rekonstruktion) beschreiben (vgl. Kap. 4.3). Das Besondere liegt nun darin, dass parodistische Bildfindungen dieses Spiel der Bedeutungskonstruktion sichtbar machen, indem sie durch markante Brüche in der Inszenierung Altes und Neues in unerwarteter Weise aufeinandertreffen lassen. In Polkes Reh-Bild beispielsweise erscheint Franz Marcs ikonische Tiergestalt auf einer einfachen Wolldecke umgeben von abstrakten Farbschlieren. Das unerwartete und unprätentiös ausgeführte Nebeneinander von figürlichen und abstrakten Formelementen legt eine Spur zu den kunstpolitischen Diskursen der Nachkriegsjahre. 1 Polke nutzt das Zitat aus dem Werk des avantgardistischen Künstlers also nicht mehr allein zum Zweck des »Autoritätsgewinns«, sondern initiiert über den markanten Bruch zwischen Motiv, Malweise und Material eine weitreichende Reflexion über die kulturpolitische Indienstnahme der avantgardistischen Kunst in den 1950er und 1960er Jahren. 2 Damit eröffnen Bildparodien einen Gedächtnisraum, der dazu einlädt, über die Geschichtlichkeit der zitierten Motive nachzudenken. Dieser Hinwendung zur geschichtlichen Tiefe der Verweise, so die Hypothese für die folgenden Bildanalysen, könnte zur Folge haben, dass die Referenzebene der Bildparodie abstrakter wird: Anstatt eine Künstler*in, ein Werk oder einen Stil in den Fokus zu nehmen, referieren postmoderne Bildparodien zunehmend auch auf die Deutungsgeschichte ihrer Vorbilder oder deren politische Inanspruchnahme. 1 Mit Barthes gesprochen bewegt sich Polkes Marc-Zitat also bereits auf einer Konnotationsebene. 2 Vgl. Gander 2010. 7 https://www.tagesspiegel.de/kultur/albrecht-duerer-in-wien-aufbruch-in-eine-neue-zeit/2 5067262.html (Zuletzt abgerufen am 28.06.2021). 8 https://orf.at/stories/3137657/(Zuletzt abgerufen am 28.06.2021).
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