Die KonstellationDaß die von Lessing veröffentlichten Fragmente des Reimarus sowohl vom Verfasser und seinen Nachkommen als auch von Nicolai und Mendelssohn als zu brisant für eine Veröffentlichung gehalten wurden, kritisiert Rilla als eine Aufklärung, die zwar in der Studierstube zu großem Höhenflug fähig war, die öffentliche Auseinandersetzung aber scheute. 1 Kennzeichnend ist, daß Lessing diesen Mangel überwindet, indem er einen Text veröffentlicht, mit dem er sich selbst nicht ganz identifizieren kann, der also seinerseits Mängel hat und der gleichermaßen bruchloses Akzeptieren und totale Verdammung unmöglich macht. Das zweite wichtige Merkmal ist die ebenso zeitgebundene Verdeckung, welche diesen Prozeß begleitet. Lessing respektiert zunächst die Vorsicht und innere Gespaltenheit eines hochangesehenen Hamburger Gelehrten und seiner Familie. fordert die heroische Einheit nicht vom zwiespältigen Subjekt selbst ein, findet sich aber auch nicht mit dem Widerspruch zwischen geistigem Mut und öffentlicher Zaghaftigkeit ab, sondern macht ihn in einer bezeichnenden Weise fruchtbar. Als Ungenannter gewinnt nämlich, wie in der Duplik selbst thematisiert wird, der Autor einen besonderen Status und fordert damit eine besondere Haltung der Gegner heraus. Der Ungenannte kann auf keinen Namen, keinen Ort und keine Zeit festgelegt werden, er hat kein Prestige. Er wird dadurch nicht erniedrigt, sondern erhöht: Lessing warnt, ihn zu gering zu schätzen und ihn herabzuwürdigen. Gerade seine Anonymität müsse dazu führen, in ihm allen Scharfsinn und alle Bildung zu vermuten und entsprechend zu argumentieren. Der persönliche andere wird aus dem Bereich möglicher imaginärer Verfestigungen herausgelöst und zu einem anderen erhoben, dem höchstes Wissen unterstellt werden muß. So wird die Schwäche des An-Paul Rilla: Lessing und sein Zeitalter. In: Rio, S. 332. Brought to you by | University of Michigan Authenticated Download Date | 7/14/15 6:12 PM
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